Kernstadt-Platz, Altstadt heute?
Zuvor haben wir beschrieben, welche Elemente die mittelalterliche Kernstadt aufweist und wie diese zusammenspielen. Was aber können wir für die heutige Stadtentwicklung davon ableiten?
(…vorher) Zu aller erst lässt sich feststellen, dass wir keine Angst vor der eigenständigen Form haben sollten, wenn diese nicht aus einer Laune herrührt, sondern Funktion und Sinn hat. Selbst gerichtete Strassenräume müssen nicht parallel und geradlinig sein. Ordnung muss nicht zu Strenge führen und existiert auch dann noch weiter, wenn sich die Menschen in ihr einnisten. Eine leichte Modulierung der Geometrie kann zu einem komplexeren Aussenraum führen. Es werden Zwischenformen mit verschiedener Les- und Nutzbarkeit möglich. Durch Verschmelzung oder Modulation von Raumkonzepten können im kontinuierlichen Raum Zentren definiert werden, ohne dessen Fluss zu unterbrechen.
Neben der Aussenraumform als solches zeigt sich, dass wir uns nicht vor der Enge scheuen müssen. In so mancher neuer Aussenraumschöpfung steht die Besonnung der Wohneinheiten im Vordergrund der Planung. Dass man den Platz oder die Strasse damit dem Risiko einer Überdimensionierung aussetzt wird meist nicht in Betracht gezogen. Bald einmal fühlt man sich verlassen und unbedeutend, auf einer weiten Fläche. Man spricht vom Horror Vacui, der Angst vor der Leere, die einem dort umfängt. Enge Gassen bieten, dem gegenüber, ein angepasstes Verhältnis zwischen Mensch und Raum. Man fühlt sich auch zu weniger geschäftigen Tageszeiten gefasst im Raum.
Daneben zeigt sich, dass die Rhythmisierung des Aussenraumes durch abzweigende Seitengassen und kurze Fassaden einen ordnenden Charakter hat. Wenn von der wirtschaftlich sinnvollen Dimensionierung von Baufeldern auch die Fassadenlänge abgeleitet wird, dann führt dies in den allermeisten Fällen zu überlangen, monotonen Häuserfronten. Daran vorbei zu gehen, macht kein Vergnügen. Es scheint der Mensch findet an Abwechslung Gefallen aber auch daran seine Bewegung im Raum anhand seiner Umgebung bemessen zu können. Die kurzen Häuserfronten sind greifbar, und geben einen Takt vor.
Zu guter Letzt hat auch die Art der Architektur einen wesentlichen Anteil an der Aussenraumwirkung. Zum einen ist es eine grosse Übereinstimmung von Proportionen und Stilistik, welche den Charakter eines Aussenraumes prägen. Ähnlichkeiten in der Architektur, im Sinne einer Typologischen Einheitlichkeit, wirken sich demnach positiv auf die Qualität aus und sollten vom Gestaltungsplan aktiv eingefordert werden. Zum anderen ist aber auch die Feingliedrigkeit und Detaillierung wichtig für die lebendige Wirkung des Kernstadtraumes. Von der Theorie der Moderne unterfüttert und vom Kostendruck getrieben, werden die Fassaden heutzutage kaum noch geschmückt oder verziert. Friese, Simse, Ecksteine, Gewände, Lisenen und Sockel werden dem Klassizismus zugerechnet und können in einer modernen Zeit kaum noch wiedergegeben werden. Und selbst wenn der Architekt gewillt ist, die Gebäudeoberfläche reichhaltig zu gestalten, dann bleibt ihm in den meisten Fällen nur die Grafik mit Putzstruktur und Farbe. Am Beispiel der mittelalterlichen Kernstadt können wir sehen, dass die Schmuckelemente nicht primär nur Stilbilden wirken, sondern wesentlich zur lebendigen Gesamtwirkung des Strassenzuges beitragen. Die Wahrnehmung des Menschen fühlt sich durch detaillierte Flächen angezogen. Dort gibt es so vieles zu sehen, dass auch bei mehrmaligem Betrachten noch neues entdeckt werden kann. Hingegen verliert man an monotonen Flächen schnell das Interesse. Wir sollten uns also nicht davor scheuen, auch in der aktuellen Architektur, Schmuckelemente einzubinden. Nicht um damit an irgendwelchen Stilen anzuknüpfen, sondern um den Raum vor den Fassaden eine reichhaltige Wahrnehmung zu ermöglichen.