Stadtvorgarten, Abstand
Seit der Landistil die Ideen der Gartenstadt auf die Schweizer Verhältnisse herunter gebrochen hat, gibt es sie, die Kritik am Grünraum. Wohl seit den 40-er Jahren greift das Phänomen um sich, dem Garten anstelle einer bewussten Nutzung, nur die Funktion des Abstandes zwischen den Häusern zukommen zu lassen.
Es ist berühmt, berüchtigt, das Abstandsgrün. Es liegt ebenso unmotiviert auf dem Baufeld wie die Baukörper selbst. Durchkreuzt wird der grüne Teppich nur von einigen geschwungenen Wegen aus Natursteinplatten, welche die Hauszugänge erschliessen. Ansonsten handelt es sich um eine abstrakte Fläche, mit der man nichts anzufangen weiss. Kann man auf so einer Aussenfläche spielen? Sicher, aber regt die Fläche zum Spielen an? Kann man sich dort Treffen? Klar, wer eine Picknickdecke hat, findet dort genügend Platz. Aber verleitet dieser ungefasste Raum, vor dem Sitzplatz der Nachbarn, zum gemütlichen Treffen? Solche Wiesen sind nicht gut und nicht schlecht, sie sind belanglos. Der einzige, der sie so richtig mag, ist der Hauswart. Dieser rasselt einmal die Woche mit seinem kleinen Mähtraktor darüber hinweg und spart sich, im Unterschied zu komplexer angelegten Aussenräumen, viel Zeit im Flächenunterhalt.
Ob schon sich an diesem Umstand schon einige Kritiker abgearbeitet haben, ist diese Form des Aussenraumes, gerade wegen des geringen Aufwandes, lange nicht ausgestorben. Zu beobachten ist diese Gartentypologie aus der Nachkriegszeit auch bei brandneuen Überbauungen. Dem gegenüber stehen die vielen, interessanten Projekte aus Architekturwettbewerben, welche auch Landschaftsarchitekten beiziehen. Dort werden schöne Spielplätze, Gemüsegärten, Biodiversitätsflächen, Stützmauern und Wasserflächen in den Aussenraum eingeflochten. Allerding geschieht dies eben nur dort, wo die Kommunen den Finger auf die Aussenraumgestaltung halten. Da, wo die Rendite orientierten Investoren Hand anlegen, sehen wir dieselben Mähpisten wie eh und je.
Die Abstandswiese dient aber nicht nur einer schlanken Nebenkostenabrechnung, sondern entzieht dem Volksport Mieterstreit eine seiner bedeutendsten Schlachtfelder. Denn wenn der Bewohner auf seinem Balkon bleibt, kann er sich nicht mit seinen Mitmenschen zanken. So wie die Integration der Waschmaschine in die Wohnung, ist auch das Abstandsgrün eine zentrale Massnahme der aktiven Konfliktvermeidung.
Die Kehrseite davon ist allerdings, dass auch keine positiv empfundenen Begegnungen mehr stattfinden. Man muss sich schon gegenseitig einladen, um etwas von seinem Nachbarn zu erfahren. Das typische Gartenzaungespräche der Einfamilienhausbesitzer entgeht einem so gänzlich. All das scheint die Mieter aber gar nicht so recht zu stören. Man ist sich das halt gewohnt. «My Home, my Castle» wird hier ganz praktisch auf «My Flat, my Castle” uminterpretiert, wobei Balkon als Schlossgarten fungiert. Und damit einem ja niemand zu nahekommt, braucht es einen Burggraben: Das Abstandsgrün.
Aber gibt es nicht auch noch andere Formen des Aussenraumes? Lässt sich nicht mehr Qualität aus dem Aussenraum herausziehen als nur der Abstand? Diesen Fragen soll in dieser Textreihe nachgegangen werden. (Weiter bei…)