Kernstadt-Platz, Raum-Typologie
Im Zusammenhang mit der Europaallee kursiert viel Kritik. Ein Auszug daraus ist in den vorangegangenen Beiträgen abgebildet. Was bisher aber gänzlich zu kurz kam, ist die Tatsache, dass es sich bei der städtebaulichen Typologie, welche zur Anwendung kam, um eine äusserst spannende Konzeption handelt.
(…vorher) Der Städtebauentwurf von Kees Christiaanse zeichnet sich durch grosse Bauvolumen und deren bewusste Differenzierung in der Höhe, kleine Innenhöfe, eine äussere Erschliessungsstrasse und eine innenliegende Fussgängerzone aus. Als Gesamtheit ist dieser Entwurf eine spannende und gelungene Formulierung von Stadt. Offensichtlicher Weise trägt zu diesem Ergebnis die plastische Komposition der verschieden hohen Türme bei. Was daneben oft unbeachtet bleibt, ist die Typologie des Fussgängerraumes, welche der Volumensetzung in ihrer Relevanz in Nichts nachsteht.
Dieser Fussgängerraum scheint ein Mittelwesen zwischen Platz, Strasse und Gasse zu sein. Am Hauptzugang der Planungsfläche öffnet sich der Gebäudezwischenraum und bildet vor der Verbindungstreppe zur Bahnhofsunterwelt einen grosszügigen Platz. Allerdings ist dieser Platz sehr stark in die Länge gezogen und verengt sich immer mehr, je weiter man zur Arealmitte geht. Danach beginnt sich die Fussgängerzone abermals auszuweiten, bis sie sich verzweigt. Eine Seite der Aussenfläche wird zur schmalen Strasse dem Schienenfeld entlang, die andere Seite mündet in die aussen liegende Erschliessungsstrasse.
Diese konischen Strassen-Plätze wirken vor Ort selbstverständlich und unaufgeregt. Man muss sich schon etwas tiefer mit ihnen beschäftigen, bis man darauf stösst, dass sie etwas sehr Besonderes sind. Die Städtebaugeschichte führt einem bis ins Mittelalter zurück, bis man auf eine ähnliche Formgebung von Aussenräumen stösst. In den alten Kernstädten wurden diese sanften Ausweitungen von Strassenzügen zu platzähnlichen Räumen oft praktiziert. Allerding ähnelt sich nur die sanfte Ausdehnung. In der mittelalterlichen Stadt sind solche Verbreiterungen nicht so streng geradlinig wie an der Europaallee, sondern bauchen in leichten Rundungen aus. Zudem öffnen sich die historischen Beispiele nicht nach Aussen, sondern werden nach Innen breiter. An ihren jeweiligen Enden, wo sich die Stadttore befanden, musste sich auch der Strassenraum auf diesen Durchgang hin verengen.
Trotz dieser Unterschiede können wir von verwandten Vorgehensweisen sprechen. Die Differenzen sind dabei dem Stadtkontext geschuldet. Im Gegensatz zu einer abgeschlossenen, mittelalterlichen Kleinstadt, kann ein Strassenzug in einer modernen Metropole nicht als etwas abgeschlossenes verstanden werden. Dort wo das Neubauareal endet, ist mit der Stadt selbst noch lange nicht Schluss. Sie fliesst weiter und weiter. Die Flächenausdehnung am Rand des Areals können daher auch nicht als Schlusspunkt funktionieren. Sie sind vielmehr in einem ähnlichen Sinne, wie in der mittelalterlichen Stadt, als Mitte zu verstehen.
Im Verbund mit den Bauvolumen hat die kontinuierliche Ausdehnung der Strasse zum Platz aber noch eine zusätzliche Wirkung. Es entsteht eine Fokussierung zum Arealzentrum hin. Dieser perspektivische Sog gibt dem Raum eine Richtung. Das Spiel der Gebäudehöhen steigert diese Dynamik zusätzlich und macht den Aussenraum zu einem einprägsamen Erlebnis.
Die konischen Platzflächen an der Europaallee führen uns deutlich vor Augen, dass sich die Stadtplanung nicht in der Volumensetzung aus der Vogelperspektive erschöpft. Sie kann sich auch aus der Blickhöhe des Fussgängers entwickeln. Im Idealfall befruchten sich beide Betrachtungsweisen.
Im vorliegenden Fall führt die Komposition auf diesen beiden Ebenen zu einer Selbstverständlichen erscheinenden Neuinterpretation des dynamischen mittelalterlichen Stadtraumes. (Weiter bei…)