Steuerbarkeit von Steuerlosigkeit
Die Zutaten des «architektonischen» Rezeptes am besprochenen Industriebau sind die Auskragung, die Kollision und die Bastelei. Vermengt führt dies zu einer skurrilen Wirkung, die einem auf seltsame Weise anzieht und abstösst. Doch lässt sich ein solcher Effekt planen? Und noch viel wichtiger, kann diese Wirkung in ein architektonisches Konzept eingebunden werden?
(…vorher) Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst ein grosser Wiederspruch aus der Welt geschaffen werden: Das direkte Bauen wird in der voran gegangen Analyse explizit nicht als architektonisches Handeln verstanden. Am besagten Bau ist weder eine bewusste Ordnung noch der Wille zur Ästhetisierung zu erkennen. Wie also soll Nichtarchitektur als Vorlage eines architektonischen Konzeptes dienen?
Der Schlüssel zur Auflösung dieses Wiederspruchs liegt im Fokus auf die einzelnen planerischen Entscheide und nicht auf deren ästhetikfreie Wirkung. Diese einzelnen Handlungsschritte können identifiziert, und schliesslich zu einem Architekturkonzept zusammengeschnürt werden.
Ziel eines solchen Konzeptes wäre es beispielsweise, Konflikte zwischen zwei Bauteilen zu erzeugen. Dies in dem man den jeweiligen Teilen einen eigenständigen Ausdruck verleiht bevor man sie zusammenfügt. Um die Differenz zu verstärken gründen die Elemente bestenfalls auf gänzlich unterschiedlichen Architekturprinzipien. Die Elemente können nun in ihren Eigenschaften so gesteuert werden, dass sie einen bewussten Kontrast untereinander erzeugen, der wesentlich stärker ausfällt als die ungeplante Kollision am Industriebau. Der Skurrilität sind dann wohl kaum noch Grenzen gesetzt.
In der oben aufgestellten Rechnung gibt es aber noch einige Unbekannte, welche deren gestalterischen Erfolg in Zweifel ziehen: Es ist möglich, dass die konstruierten Kollisionen mehr zu einer Collage, denn zur Skurrilität führen. Wer zu viele Konflikte aneinanderreiht, läuft Gefahr, dass die einzelnen Kollisionen ihre Kraft nicht mehr entfalten können. Darüber hinaus ist es naheliegend, dass diese Vorgehensweise nicht als architektonisches Konzept erkannt wird. Architektonische Wirkung wird gemeinhin mit starken Konzepten erzeugt, deren Anspruch es ist, möglichst rein zu sein. Hier wird diese Logik umgekehrt. Anstelle einer inneren Schlüssigkeit, werden bewusst Kollisionen konstruiert. Die Frage lautet daher, ob das spezifische Projekt im Stande ist, derart viel gestalterische Kraft aus dem Konflikt zu ziehen, dass deren unkonventionelle Konzeption als solche erkannt und verstanden werden kann? (Weiter bei…)