Gestalterische Freiheit
In Givisiez haben die Architekten ihre Inspiration aus dem Bestand gezogen und sind zumindest geometrisch nahe am ursprünglichen Bild des Hauses geblieben. Mit einer klaren Palimpseststrategie wäre dieses gestalterische Resultat möglich gewesen, aber aus anderen Gründen.
(…vorher) Für die kompromisslose Denkmalpflege nach Bernhard Furrer, ist die Nachbildung von Bauteilen mit neuen Technologien nicht erstrebenswert. Für sie ist ein solches Vorgehen gleichbedeutend mit dem Abriss. Technisch gesehen stimmt das natürlich, da man die betreffenden Gebäudeteile tatsächlich abbrechen muss, um sie mit neuen Profilen ersetzten zu können. Das Gebäude erzählt so auch nicht weiter von seiner Geschichte, da die alte Fassade nicht mehr untersucht werden kann. Es existiert nicht mehr, sondern repräsentiert nur noch, indem die Geometrie fortbesteht.
Was also ist der Wert des architektonischen Vorgehens, das Gebäude im Sinne des Bestandes weiter zu entwickeln, wenn der Denkmalschutz daran keinen Gefallen findet? Wäre das Projekt gleich gestaltet worden, wenn der Denkmalschutz ganz zu Anfang des Entwurfsprozesses klar gemacht hätte, dass bei einem Austausch von Substanz, die Schutzwürdigkeit entfällt?
Vielleicht hätten die Planer dennoch die alten Fensterteilungen aufgegriffen, weil sie zum Bestand eine gewisse Sentimentalität entwickelten. Vielleicht hätten sie aber auch einer kosteneffizienteren Einteilung den Vorzug gegeben oder hätten mit grösseren Verglasungen nach einer neuen Grosszügigkeit gesucht. Der wesentliche Unterschied hätte aber darin gelegen, dass der Entwurf nicht von denkmalschützerischen Themen geleitet worden wäre, sondern von der Suche nach einem architektonischen Gestaltungsansatz.
Hätten die Architekten diese schöpferische Freiheit gehabt und einen palimpsesthaften Ansatz gewählt, so hätten sie nicht in erster Linie die gestalterische Fortschreibung der Ästhetik im Auge behalten müssen. Sie wären vielmehr von den heute gestellten Anforderungen, Möglichkeiten und Gestaltvorstellungen ausgegangen. Diese zeitgenössische Architektur hätte einzig aus praktischen Gründen auf den zu erhaltenden Rohbau Rücksicht nehmen müssen. Wenn Sie aus dieser Betrachtungsweise schliesslich den Schluss gezogen hätten, dass das alte Fassadenraster für die Erfüllung aller Anforderungen immer noch am besten taugt, dann hätte dieser durchaus übernommen werden können. Dies aber eben nicht aus konservierenden, sondern aus funktionalen Gründen. (Weiter bei…)