Lacaton und Vassal, Die andere Seite der Medallie

Lacaton und Vassal, Die andere Seite der Medallie

Es darf als grosse Leistung anerkannt werden, den Einfluss auf das eigene Werk einzuschränken und den Bewohnern, bis zu einem gewissen Grad, die Freiheit über die Gestalt der Architektur zu überlassen. Allerdings lassen sich Freiheiten auch missbrauchen. Eine Tatsache, die in der Kritik an Lacaton und Vassals Werk keine Rolle zu spielen scheint.

(…vorher) Nach der Verblüffung kommt der Zweifel. Lacaton und Vassal setzten sich über eine ganze Reihe von Konventionen hinweg und ermöglichen damit viele neue kraftvolle Lösungswege. Das sie dabei auch negative Aspekte in kauf nehmen müssen, wird kaum diskutiert. Architekturtheoretisch stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, die den Kern des architektonischen Arbeitens berühren: Was bedeutet die Kontrolle eines Entwurfes für die Entstehung von Architektur? Gibt es eine Architektur ohne Gestalt? Ist Freiheit an sich schon etwas Gutes? Es ist klar, das die Antwort auf solch gewichtige Fragen nicht auf einer A4-Seite platz finden. Darum nähern wir uns der Thematik von einer Praxis bezogeneren Seite an:

Lacaton und Vassal sehen den Wintergarten als ein potentes Werkzeug zur Lösung vieler Probleme: Durch seine Pufferwirkung soll er den Wärmeverlust des Hauses mindern. Durch seine reduzierte Materialität soll er die graue Energie des Gebäudes senken. Ganz allgemein betrachtet sehen sie ihre Bauweise als nachhaltig und ökologisch an. Das ist richtig und zugleich auch falsch.

Richtig ist es, weil diese Effekte tatsächlich greifen. Die solaren Wärmegewinne tragen zur Verbesserung des Energiehaushaltes bei und Polykarbonatplatten benötigen in der Herstellung weniger Energie als Glas. Falsch ist es, weil hier ganz vieles ausgeblendet wird: Ein grosses Fragezeichen ist hinter das Bewohnerverhalten zu setzten. Ein Wintergarten ist energietechnisch eine positive Sache, wenn er im Winter nicht beheizt wird. Gerade beim Haus Latapie, wo dieser Raum für die Wohnverhalten einen so grossen Stellenwert einnimmt, besteht das Risiko, das dort plötzlich ein Heizpilz steht, um den Raum auch in der kalten Jahreszeit bewohnbar zu machen. Dann wird aus der Energiegewinnung eine Energieverschleuderung.

Ebenso zu hinterfragen gilt es den Einsatz günstiger Materialien. Es ist richtig, dass diese tiefe Investitionskosten nach sich ziehen und in der Herstellung wenig Energie verbrauchen. Wie aber sehen diese Platten nach zehn Jahren aus? Werden sie ausgewechselt wenn sie matt und verwittert sind? Sind die Materialien über die gesamte Lebensdauer des Hauses immer noch günstiger und energieärmer als eine robustere Bauweise aus Glas? Die Bewohner müssen bereit sein, auch bei schwindender Materialqualität keinen Ersatz vorzunehmen. Ob die finanzielle und ökologische Strategie der Architekten aufgeht wird also von den Nutzern und Eigentümern bestimmt und diese hat die Freiheit sich richtig oder falsch zu verhalten.

Mit dem Verzicht auf die Kontrolle der Gebäudenutzung, kann nicht mehr von einer ökologischen Bauweise gesprochen werden. Diesen Anspruch müssen dir Bewohner einlösen. Damit steht die Frage im Raum ob diese Erkenntnis auch für die gestalterischen Belange übertragen werden kann. Bedeutet der Rückzug Lacaton und Vassals aus der aktiven Gestaltung ein Rückzug aus der Architektur selbst? (Weiter bei…)