Werkzeuge statt Retro

Werkzeuge statt Retro

Warum setzen sich Architekten mit längst vergangenen Architekturströmungen auseinander? Was gibt es in der Ferne der Vergangenheit zu finden? Was können wir für die aktuelle Architektur aus der Vergangenheit lernen und wohin soll die Reise gehen?

(…vorher) Am Anfang der Serie stehen zwei Autoren, deren Positionen zur Architektur nicht unterschiedlicher sein könnten. Graser wünscht sich eine Architektur, die sich aus der Konstruktion her entwickelt. Imhof plädiert für ein Reformieren alter Stile. Beide pflegen damit eine Geisteshaltung, die in den vorangegangenen Jahrhunderten schon mal durchgespielt wurde. Die Frage scheint berechtigt ob nicht beide Denkweisen eher in die Vergangenheit, als in die Zukunft weisen, zumal die Gräben dieses Konfliktes durch neue Strömungen längst zugedeckt worden sind. Nach dem Hightech, der Postmoderne und der Dekonstruktion haben sich noch Begriffe wie Nachmoderne oder Zweite Moderne einige Zeit halten können. Heute ist das Architekturschaffen aber so zersplittert, das es kaum noch sinnvoll erscheint Stilbezeichnungen einzuführen.

Wenn wir heute eine Hauptströmung im Architekturschaffen identifizieren müssten ist es wohl die Haltung keinen Stil zu verfolgen. Vielen Gestalter entwickeln ihre Entwürfe jedes Mal von neuem. Bezogen auf die Aufgabe, den Kontext und die gegenwärtige Laune entwerfen sie ganz unterschiedliche Bauten: Man hat gerade Lust einen ganz reduzierten Betonbau zu erstellen; man sieht es als passend an, mit schillernden Oberflächen auf die Lage zu reagieren; man möchte auch mal eine archaischen Bau realisieren. Die Welt der Architektur hat sich also nicht in eine Vielzahl von Autorenstilen aufgesplittert. Sie hat sich gestalterisch auf die Projektebene atomisiert. Es ist die radikale Umsetzung von „alles geht“. Der Individualismus hat sich so tief in unser Denken eingebrannt, das er keine Angelegenheit von Personen ist, sondern von der Tagesform.

Das vor diese Hintergrund auch Rückgriffe auf alte Stile stattfinden oder radikale moderne Thesen aufgekocht werden, kann nicht erstaunen. In einer Zeit wo es keine Leitlinien mehr gibt, an denen man sich orientieren kann, ist der Rückgriff auf alte Leitlinien sehr verlockend. Allerdings ist die Sicherheit des Vergangenen nicht gratis zu haben. Mit ihr dringt auch der Staub der Geschichte in die Entwürfe.

Ein staubfreier Umgang mit der Vergangenheit ist nur dann möglich, wenn wir die alten Formen in die heutige Zeit übersetzen können. Wenn wir nicht kopieren oder verfeinern, sondern transformieren. Vergangene Epochen können wie jede andere Quelle als Inspirationspool verwendet werden um aktuelle Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu finden. Dazu ist es wichtig den Kopf, von den Zwängen der vergangenen Gestaltungslogik frei zu bekommen. Vielleicht sollten wir die architektonischen Lösungen von dazumal weniger im Rahmen ihrer Geschichte sehen, sondern als eine Summe von Gestaltungsstrategien, die auch getrennt voneinander genutzt werden können. So wird es möglich einzelne architektonische Vorgehensweisen in die heutige Zeit zu transportieren und für die eigenen Entwürfen nutzbar zu machen, ohne die alten Entwürfe wiederholen zu müssen.

Es ist klar dass damit keine neuen Leitlinien gefunden sind. Ein Werkzeugkasten aus gestalterischen Strategien ist noch keine Haltung, geschweige denn ein Stil. Wer also nicht nur von seinem Geschmack und seiner Spielfreude gelenkt werden möchte, sollte sich eine neue Strategie zurechtlegen und nicht versuchen vergangene zu wiederholen. Das soll aber in einer anderen Reihe besprochen werden.