Türe in die Vergangenheit

Türe in die Vergangenheit

Loeliger Strub verstehen es als Kompliment, wenn Leihen ihre Neubauten als Bestand wahrnehmen. Doch woran liegt dieses Empfinden der Passanten?

(… vorher) Die beiden Architekten argumentieren auf zwei Ebenen, wenn es darum geht die Einfügung ihrer Bauten zu beschreiben. Auf der ersten Ebene befassen sie sich mit der Gliederung ihrer Bauten, welche durch das Zusammenspiel von Volumenabstufung, Fassadenfügung und Materialisierung  entsteht. Auf der zweiten Ebene führen sie die vielen Bezüge zu architektonischen Vorbildern an, von denen ihre Bauten inspiriert sind. Beides zusammengenommen ergibt eine Gestaltung, welche sich mittels Vielgliedrigkeit und Historisierung der Umgebung angleicht. Dieses Vorhaben gelingt zweifelsohne. Blickt man sich auf dem Platz Erlachstrasse/Werdstrasse um, wird einem das hohe Haus als interessant und qualitätsvoll, aber nicht zwingend als neu ins Auge stechen.

Allerdings beschreiben die Erläuterungen der Architekten noch nicht das ganze Spektrum möglicher Erklärungsansätze. Ein wesentlicher Grund für das Zusammenwachsen des Gebäudes mit seiner baulichen Umgebung kann auch von der Ausformulierung baulicher Details beigesteuert werden. Wenn einzelne Bauteile so konkret auf historische Vorbilder Bezug nehmen, dass sie von ihrer Inspirationsquelle nicht mehr unterschieden werden können, wird der ungeübte Betrachter annehmen, er habe es tatsächlich mit einem alten Gebäude zu tun.

Ein gutes Beispiel für diese Wirkung ist die Ausformulierung der Eingangstüre auf der Rückseite des Hohen Hauses. Dort begegnen wir einem dunkelblauen Türblatt mit Glaseinsatz. Das Glas selbst ist von einem Messingprofil gefasst, gerade so, wie es in der Nachkriegszeit tausendfach verbaut wurde. Es wäre eine Untertreibung dieses Detail als „von der Vergangenheit inspiriert“ zu bezeichnen. Es ist vielmehr eine Kopie des Vergangenen.

Doch was ist der Einfluss dieser Kopie auf die Wahrnehmung des Gebäudes? Um diese Frage beantworten zu können ist es wichtig zwei verschiedene Wahrnehmungsformen von Architektur zu unterscheiden. Die eine betrifft die Sicht auf die Gesamtvolumen, also die städtebauliche Konstellation und die Architektonische Komposition. Die andere Sichtweise bezieht sich mehr auf den alltäglichen Benutzer des Gebäudes, der nicht jedes Mal das grosse Ganze aus gebührendem Abstand bestaunt, bevor er das Haus betritt. In diesem zweiten Fall, wird der Passant den Fassadenfluchten entlang gehen und nur die Gestaltung des Erdgeschosses wahrnehmen. Für diesen Betrachter ist nicht das Gesamtbild relevant. Für ihn sind lediglich einzelne Bauelemente zentral, wie beispielsweise die erwähnte Türe.

Wenn eine Türe für den Charakter eines ganzen Gebäudes spricht, hat das Kopieren historischer Vorbilder eine nicht zu unterschätzende Tragweite. Das Haus wird nicht als Komposition aus verschiedenen Inspirationsquellen wahrgenommen sondern auf Grund eines Details als Alt abgehakt. Denn was aussieht wie aus den Fünfzigern und sich anfühlt wie aus den Fünfzigern, das ist wohl auch aus jener Zeit.

Wenn Passanten nun also das Gebäude als ein bestehendes Wahrnehmen, kann das mit seiner gestalterischen Gesamtkomposition aber ebenso mit der Ausformulierung des Türblatts zusammenhängen. Tritt der zweite Fall ein, dann kippt die angestrebte Wirkung einer vom Historischen inspirierten Architektur, in eine historische Gestalt um. Das Haus wirkt dann nicht als innovative Komposition, sondern als eine Türe in die Vergangenheit. (Weiter bei…)