Teil 4, Ideologische Verirrung

Teil 4, Ideologische Verirrung

Die Vermengung von Begriffen aus verschiedenen Kategorien ist nicht Sinnvoll. Einzelne Attribute ähneln sich zwar, aber die Differenzen, welche sich aus den spezifischen Eigenschaften der Kategorien ergeben, dürfen dabei nicht vergessen werden:

(…vorher) Schon am Anfang des langen Transparenzdiskurses wurde dieser Grundsatz nicht beachtet. Die verglaste Bauhausecke hat nicht die gleich Wirkung wie Picassos Bild L’Arsiénne. Das Gemälde überträgt mehrere Standpunkte in eine Darstellung. Es verarbeitet also eine Eigenschaft der dritten in der zweiten Dimension. Dieses Prinzip für eine dreidimensionale Disziplin wie der Architektur fruchtbar zu machen, ist schlicht widersinnig. Die Bauten ermöglichen ja bereits verschiedene Betrachterpunkte.

Darüber hinaus benötigt die Volumenkomposition, für die sich Giedion interessiert, keine Durchdringung der Ansichten um ihre Wirkung zu erzielen. Sie unterdrücken durch ihre Anordnung einen bevorzugten Betrachterstandpunkt und fordern geradezu das Umschreiten. Damit ergibt sich in der Erinnerung automatisch ein Gesamtbild aller Blickpunkte.

Am Beispiel des Bauhauses lassen sich Transparenz und Vision in Motion nicht zusammenbringen. Giedion ging der Wirkung des Gemäldes auf den Leim und übersah dessen Funktionsweise. Das Bild stellt die verschiedenen Ansichten als Sinnbild für die Bewegung zusammen. Die gleichzeitige Sichtbarkeit aller Ansichten ist demnach nur ein Nebeneffekt und hat mit der dargestellten Räumlichkeit nichts gemein.

Auch Mohol-Nagy und Kepes unterliegen dem Irrtum, dass zwischen Transparenz und Sehen in Bewegung ein Zusammenhang besteht. Kepes verknüpft transparentes Glas mit der Mehrdeutigkeit von Gemäldekompositionen und glaubt sogar an eine Aufhebung der Tiefe durch die Transparenz. Moholy-Nagy sieht in der Transparenz jene simultane Wahrnehmung verwirklicht, die auch durch das Sehen in Bewegung ermöglicht werde. Er übersieht jedoch, dass seine „Vision in Motion“ erst in der Erinnerung ein Ganzes ergibt. Ein Gleichzeitiges ist mit der Bewegung nicht zu haben, da Bewegung naturgemäss eine Chronologie hervorbringt.

Rowe und Slutzky begreifen als erste, dass es zwischen der Materialdurchsicht und der mehrdeutigen Bildkomposition einen Unterschied gibt. Sie bauen diesen Unterschied zur Opposition aus, in dem sie die Mehrdeutigkeit über die Durchsicht stellen. Von dieser Warte aus kreieren sie dann ihren Begriff, in dem sie versuchen das bildnerische Verfahren auf die Architektur zu übertragen. Letztlich scheitert ihr These aber genau an ihrem unorthodoxen Vorgehen. Damit die Übertragung des Gemäldes auf das Bauwerk funktioniert, sind sie gezwungen die Architektur zweidimensional zu betrachten. Leider schaffen sie es nicht, diesen Mangel an ihrer Theorie auszuräumen, uns so tritt uns auch Rowe und Slutzky‘s Text in seiner ganzen Widersprüchlichkeit entgegen. Der offensichtliche Schluss aus der Überlegung von Rowe uns Slutzky ist jener, dass es zwar in der Architektur als auch in Gemälden Mehrdeutigkeiten gibt, dass diese aber gänzlich anders funktionieren und wohl gar nicht in die andere Disziplin übertrage werden können.

Hoesli hat eben diese Mehrdeutigkeit in der Architektur beschrieben: Es sind dies die Überlagerungen verschiedener Raumbereiche. Allerdings ging er davon aus, dass sich diese räumliche Mehrdeutigkeit mit der enträumlichten Betrachtungsweise Rowes und Slutzkys in Einklang bringen liesse.

Wie sich zeigt sind alle frühen Thesen zur Transparenz von Gedanken beseelt, Disziplinüberschreitende Ideologien zu stützen, oder aufbauen zu können. Diese Versuche müssen jedoch als gescheitert angesehen werden. Selbst die sehr wage, und weitaus weniger extremistische These von Riley versucht einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Architekturen aufzudecken, der so nicht nachgewiesen werden kann. Dieser Versuch gipfelt letztlich in der Zusammenfassung von verspiegelten Vorsatzfassaden und Holzoberflächen – Ein Spagat, der sich bei Lichte besehen nicht durchführen lässt.

Das ideologisch geprägte Denken der Autoren führt in diesem Thema zu einem Haufen waghalsiger, akrobatischer Einlagen. Deren Choreografie mag kunstvoll gestaltet sein, doch letztlich landen die meisten im Fangnetz ihrer Widersprüche. (Weiter bei…)