Teil 3, Taylor, eleganter Unsinn?
Die aufgezeigten Fehler in der These Taylors erscheinen einigermassen offensichtlich. Wie war es also möglich, dass dies sowohl Taylor selbst, als auch der renommierten Zeitschrift Arch+, in der sein Aufsatz abgedruckt wurde, nicht auffiel?
(…vorher) Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, setzen wir uns zunächst genauer mit der Argumentationsweise Taylors auseinander. Diese ist ausgesprochen kunstvoll und mutet zuweilen poetisch an. Dazu ein Auszug aus dem Aufsatz Taylors:
„Das Transparente und das Transluzente sind enger miteinander verwandt, als Riley meint. […] Es ist wichtig zu erkennen, dass die Polarität von Oberfläche und Tiefe von gleicher Gestalt ist wie die Polarität von Innen und Aussen. Wenn die Tiefe transparent wird, ist sie Oberfläche; wenn das Innen transparent wird, ist es nach aussen gekehrt. Sobald alles transparent ist, schwinden Tiefe und Innen. […] In gewissem Sinne sind Tiefe und Innen – auch wenn sie verborgen sind – Garant oder Basis für Oberfläche und Aussen. […] Die Tiefe von Oberflächen und die Oberflächlichkeit von Tiefe erfordern ein Überdenken von Oberfläche und Tiefe. Wenn Tiefe und Innen sich verflüchtigen, verwandelt sich die Oberfläche. Anders gesagt, kann sie nicht mehr als das verstanden werden, was sie als Gegensatz zu Tiefe und Innen war; sie wird etwas anderes, etwas Neues. (1)
Wenn sie diesen Abschnitt mehrere Male lesen müssen, um ihn zu begreifen, befinden sie sich in guter Gesellschaft. Das ist bei diesen verwundenen Sätzen auch nicht erstaunlich. Das macht es aber schwer, der Argumentation zu folgen. Vereinfacht ausgedrückt lautet diese wie folgt: 1.= Oberfläche/Tiefe und Aussen/Innen sind Gegensatzpaare. 2.= Diese Gegensatzpaare sind verwandt. 3.= Transparente Oberflächen machen die Tiefe dahinter an der Oberfläche sichtbar. 4.= Durch die Einsicht wird das Innere nach Aussen gekehrt. 5.= Die Einsicht über transparente Oberflächen führt zum Verschwinden der Tiefe und des Inneren. 6.= Damit verliert die Oberfläche ihren Gegensatz und muss daher neu definiert werden.
Was uns die kunstvolle Formulierung erschwert hat, wird nun offensichtlich. Spätestens bei Punkt 5. liegt ein Fehler vor. Die Einsicht führt eben gerade nicht zum Verschwinden der Tiefe und des Inneren. Beides wird lediglich sichtbar und tritt so noch verstärkt in unser Bewusstsein. Somit ist auch keine Neudefinition der Oberfläche notwendig.
Wie sich hier zeigt, ist die kunstvolle Formulierung des Textes hinderlich für ein wissenschaftliches Verständnis der Materie. Die Poesie verdeckt die Tatsachen und lässt den Autoren zu einer falschen Schlussfolgerung gelangen. Im ganzen Text finden sich noch weitere solcher Stolpersteine: So kann eine Oberfläche zwar eine Zwischenfläche sein, ist deshalb aber noch lange keine Schnittstelle (2). Letztere vollzieht eine Übersetzung und ist daher eine technische Apparatur oder ein biologisches Organ. Auch seine Herangehensweise an die Haut ist irreführend. Er stellt den menschlichen Körper als eine Ineinanderwicklung von Membranen dar und folgert daraus, dass der Körper nur aus Oberflächen bestehe. Dabei übersieht er, dass Oberflächen etwas Relatives sind, die je nach Betrachtungsweise anders definiert werden müssen. Ob man den Menschen mit dem Feldstecher erspäht oder seine einzelnen Zellen mit dem Mikroskop untersucht, wirft ein ganz anderes Licht auf den Aspekt der Oberfläche. Es ist aber sinnfrei, dem Blick aus der Ferne den Realitätsbezug abzusprechen, nach dem man durch das Mikroskop gesehen hat. Nur weil sich die Haut des Menschen in immer kleinere Bestandteilen untersuchen lässt, wird sie in ihrer Gesamtheit nicht weniger real. Denn Oberfläche ist eben das, was zu oberst liegt, immer davon abhängig wie und woher man schaut.
Alle diese Fehlschlüsse können auf die unklare Formulierung zurückgeführt werden. Leider können damit auch die Ergebnisse dieser These die Thematik der Transparenz und Transluzenz nicht weiterentwickeln. (Weiter bei…)
(1) Taylor C. Mark, Überlegungen zur Haut, in Arch+ 129/130, 1995, S. 113
(2) Ebd., S. 113: “Ich würde vorschlagen, dass wir Oberfläche einmal als Zwischenfläche oder, genauer gesagt, als Interface (Schnittstelle) untersuchen.”