Teil 1, Im Übertragenen Sinn
Um Giedions Begriffsverständnis der Transparenz besser greifen zu können, ist es wichtig es in seinem theoretischen Umfeld zu betrachten. Die Bezeichnung ordnet sich dort in eine ganze Gruppe von Schlüsselwörtern ein.
(…vorher) Nikolaus Kuhnert und Angelika Schnell zeigen in ihrem kurzen Aufsatz Transparencies yet to come auf, wie bei Giedion die Begriffe „Überlagerung“ und „Simultanität“ in Raum, Zeit, Architektur in Verbindung mit jenen der „Beziehung“ und „Durchdringung“ aus dem Buch Bauen in Frankreich stehen. Dort schreibt er:
„Die Häuser Corbusiers’ sind weder räumlich noch plastisch: Luft weht durch sie! Luft wird konstituierender Faktor! Es gibt […] weder Raum noch Plastik, nur Beziehung und Durchdringung!“ (1)
Giedion, so Kuhnert und Schnell, ziele auf die innige Verbindung von Wahrnehmung und Bewegung, im Sinne von Laszlo Moholy-Nagy’s “Vision in Motion“. Seine Arbeiten zur Transparenz sind Teil dieser Beweisführung. Sie sollen mithelfen den Geist der Moderne zu beschreiben. Dabei geht es ihm mehr um eine allgemeine Charakterisierung des Zeitgeistes und seinem Niederschlag in der Architektur. In diesem Zusammenhang ist eine genaue Definition der einzelnen Begriffe sekundär. Daher begegnen wir einem breiten Spektrum an Ausdrücken zu dessen Umschreibung: Durchdringung, Überlagerung, Klarheit, Simultaneität, Bewegung, um nur einige zu nennen. Auch die Transparenz ordnet sich in diesen Kanon ein. Giedion interessiert sich für das Phänomen, weniger um der Möglichkeiten architektonischen Gestaltens willen, als um dessen symbolischen Wert. (Weiter bei…)
(1) Transparencies yet to come; Nikolaus Kuhnert, Angelika Schnell; in Arch+ 144/145 Dez. 1998 Kommende Transparenz, S.18