Einordnung

Einordnung

Port Grimaud und die Amsterdamer Scheepstimmermanstraat sind in ihrer Struktur verwandt. Beide basieren auf dem Zellenprinzip. Gestalterisch können sie als die Pole verstanden werden, innerhalb derer sich ein zellenartiger Stadtentwurf bewegen kann. Die Qualitäten liegen zwischen malerisch und hart, abwechslungsreich und klar oder einheitlich und individuell.

(… vorher) An den beiden genannten Beispielen lässt sich also zeigen, wie unterschiedlich der Ausdruck einer Zellenstruktur sein kann. Auf der einen Seite lernen wir von Amsterdam, dass Individualität noch kein Garant für Spannung ist. Es braucht hierzu auch übergeordnete Interventionen in der Stadtplanung. Auf der anderen Seite zeigt die französische Hafensiedlung auf, dass die Suche nach Flair auch merkwürdige Blüten treiben kann. Spannungsvolle Strassenzüge sind gut und recht, aber müssen sie deshalb als mittelalterliche Stadt getarnt werden?

Man ist versucht die beiden gestalterischen Ansätze miteinander zu verschmelzen. Kann es so gelingen, dass die hier aufgeführten Nachteile beseitigt, und die Vorteile kombiniert werden können? Die Auswirkung einer plastischen Auflockerung der Scheepstimmermanstraat haben wir im vorangegangenen Text angedeutet. Wie sähe nun Port Grimaud mit individualisierten, neuzeitlichen Fassaden und ohne eine Stadtmauer aus?

Die Hafensiedlung müsste sich nicht mehr den Vorwurf gefallen lassen, sie biedere mit ihren mittelalterlichen Anspielungen an und sei mehr Disneyland als ernst zu nehmende Stadt. Allerdings hätte die Unterschiedlichkeit der Fassaden auch seine Nachteile. Die Siedlung liefe Gefahr gestalterisch auseinander zu fallen, und die spannende Räumlichkeit der Strassen drohten im Feuerwerk der Materialien und Farben unterzugehen. Bei derart spannend angelegten Strassenzügen kann die Reizüberflutung drohen, wenn in den Fassaden nicht eine gewisse Einheitlichkeit besteht. Sicher könnte von der heutigen Ähnlichkeit der Fassaden, welche alle derselben geschichtlichen Epoche entlehnt sind, abgewichen werden. Moderne Elemente schaden nichts, wenn sie angenehm eingepasst sind und nicht versuchen sich in den Vordergrund zu drängen. Das Problem an der neuzeitlichen Gestaltung ist also nicht ihre Ästhetik an sich, sondern ihr mangelnder Wille zur konzeptionellen Unterordnung. Könnte unter den verschiedenen Architekten in einer solchen Stadt eine Übereinkunft gefunden werden, in welchem Rahmen man sich gestalterisch bewegen kann, und gäbe es gar die Bereitschaft, die eigene Planung mit jener der Nachbargrundstücke abzugleichen, dann stünde einer qualitativ hochstehenden Stadtgestalt nichts im Weg. Es dürfte dabei ein Flair entstehen, das sich mit jenem von Port Grimaud messen, und Touristen auch ohne die Vorspiegelung mittelalterlicher Herkunft anlocken könnte.

Eine ästhetische Neuinterpretation der mittelalterlichen Stadt ist also durchaus vorstellbar. Die Frage ist nicht, ob mit einer neuzeitlichen Architektursprache ein gesamthaftes Flair entstehen kann, sondern ob die Akteure bereit dazu sind, sich diesem Ziel unterzuordnen. (Weiter bei…)