Geschichtlichkeit und Wachstum
Die Stadt hat sich bisher durch einen stetigen Prozess verändert. Was zu Beginn gebaut wurde hat sich in einzelnen Gebäuden, aber vor allem in der Struktur, erhalten. In ihrer ganz grossen materiellen Masse hat sich die Stadt aber immer wieder umgeformt. Wie lassen sich in diesem Zusammenhang die Positionen der Denkmalpflege verstehen?
(… vorher) Alte Gebäude erzählen vom kulturellen Fundament unserer Gesellschaft. Sie sind geschichtliche Zeugen und durch ihr materielles Dasein ein ständiger Forschungsgegenstand. Aus dieser Sicht ist es verständlich, dass die Denkmalpflege den Erhalt alter Bauten anstrebt. Neben dem rein materiellen Wert sind die Bauwerke Informationsträger, welche durch den Zahn der Zeit immer rarer werden.
Gleichermassen einleuchtend ist die Tatsache, dass die Stadt die wirtschaftliche Grundlage der heutigen Gesellschaft ist. Als solche ist sie auf die Anpassbarkeit an die aktuellen Bedürfnisse angewiesen. Ansonsten entstehen ökonomische Hürden, welche die Existenz der Gemeinschaft in Frage stellen.
Es besteht damit ein Spannungsfeld zwischen dem Erhalt der kulturellen Wurzeln und der gesellschaftlichen Lebendigkeit. Beides ist für das Funktionieren einer Stadt wichtig. Es kann also nicht darum gehen, das eine auf Grund des anderen gänzlich aufzugeben. Im Optimalfall spielen die beiden Aspekte zusammen. Der Konflikt besteht nicht in der Unvereinbarkeit der Argumente, sondern in der unterschiedlichen Betrachtungsweise der Stadt: Die eine Seite sieht die Stadt als Prozess, die andere als Ansammlung von Material und Information. Im ersten Fall wird man daran interessiert sein, den Prozess am Laufen zu halten. Im zweiten Fall besteht die Versuchung, die ursprüngliche Masse möglichst zu erhalten. Das eine Extrem führt zur abrupten Umgestaltung der Stadt, das andere zu einer archäologischen Grabungsstätte ohne Aussicht auf Lebendigkeit.
Doch vielleicht lassen sich die Gegensätze durch einen Perspektivenwechsel auf beiden Seiten auflösen. Die Denkmalpflege beispielsweise, stellt die Geschichtlichkeit in den Vordergrund. Aus der Untersuchung der alten Bauten lernen wir über unsere Vorfahren. Durch die Forschung können wir besser verstehen, wie sich unsere Gesellschaft durch die Jahrhunderte entwickelt hat. Die Denkmalpflege möchte also einen Prozess verstehen. Wäre es aus dieser Sicht nicht konsequent, anstelle des materiellen Schutzes den Ablauf der Veränderung mit zu gestalten und ihn so im Sinne unserer Vorfahren zu lenken? Auf der anderen Seite sind auch die Bauherren und Planer dazu angehalten von ihren Positionen abzurücken. Liegt nicht auch im Erhalt alter Handwerkskunst und dem raren Dasein alter Substanz ein finanzieller Wert? Können die heutigen Produktions- und Dienstleistungsgeschäfte nicht in diesen Bauten stattfinden? Lässt sich gar für das heutige Leben eine gestalterische Qualität aus dem alten Bestand herüberretten?
Soll der Konflikt zwischen Konservierung und Lebendigkeit aufgelöst werden, muss von den Extrempositionen abgerückt werden. Das war der grosse Fehler der modernen Architekturbewegung und ihrer Gegnerschaft der Denkmalpflege. Beide Seiten haben sich in eine ideologische Sackgasse manövriert.
Ein Ausweg ist nur mit einem Kompromiss zu haben. Wir müssen uns die Frage stellen, was unverhandelbar erhalten werden soll, und wo die Stadt sich entwickeln kann. Dabei ist die Aufrechterhaltung der Struktur sicher von grösserer Bedeutung als die Konservierung einzelner Bauten, denn diesem Prinzip folgten auch schon die Stadtgründer. Der Abbruch von altem Bestand soll damit aber nicht leichtfertig gestattet werden. Dem Bestand liesse sich beispielsweise ein Geldwert zuordnen, den man beim Abbruch verlöre. So hätten auch Investoren eine fassbare Messgrösse für ihre Entscheidungen. Ein völliges Verbot der Veränderung ist aber unsinnig. Die Stadt wurde schliesslich nicht als Geschichtsbuch konzipiert. Wäre dies so, dann hiesse das, dass die Stadt durch die Konservierung zu einem Endpunkt gelangt ist und nur noch auf ihren klinischen Tod warten könnte. (Weiter bei …)