Zähringerstädte, Flexibilität

Zähringerstädte, Flexibilität

Die Hauptmerkmale der Zähringerstädte, die Marktstrasse und die gleichgrossen Hofstätten, haben wir kennengelernt. Warum aber hat dieses einfache und klare Ordnungsprinzip zu einer derart komplexen Form geführt?

 (… vorher) Nach den bisher aufgeführten Planungsregeln der Zähringerstadt würde man ein streng geometrisches Resultat erwarten: Rechteckige Parzellen, aufgereiht an einer geraden Strasse, müssten eigentlich eine klare, orthogonale Form ergeben. Allerdings sind die Prinzipien nicht als unveränderliche Gesetzte angewandt worden. Françoise Divorn schreibt dazu:

„Der Plan der Zähringerstadt ist ein Rasterplan, d. h. die Strassen treffen rechtwinklig aufeinander. […] Dieses geometrische Modell wurde jedoch nie starr und strikte verwirklicht wie in der Antike […]. Vor allem die Seitengassen rechts und links der Stadtachse folgten den Verbreiterungen oder Verengungen des vorgegebenen Baugrundes.“ (1)

Die Marktstrasse war als Gerade angedacht, reagierte aber flexibel auf die topografischen Bedingungen. Neben den geometrischen Grundprinzipien, welche als Ordnungsstruktur verstanden werden können, war auch die Wahl des Ortes und damit das Terrain ein wichtiger Faktor für die Ausformulierung der Stadt. Gerade die Lage der Städte wurde von ihren Gründern sorgfältig ausgesucht: Flussschleifen, wie im Beispiel Berns, boten einen guten Schutz und minimierten den Aufwand für Verteidigungsanlagen. Diese Funktion konnten sie aber nur erfüllen, in dem sie auf die vorgefundenen topografischen Gegebenheiten optimal reagierten und sich in ihren Kontext einpassten. Die formale Einpassung hat somit sehr viel mit Effizienz zu tun. Sie ist eine intelligente Strategie das Ziel ohne viel Aufwand zu erreichen.

Doch nicht nur die Anpassung an das Gelände machte die Zähringerstadt zu einem flexiblen System. Auch die zweistufige Parzellierung trug zur Erscheinung der Stadt bei. So führte die Aufteilung in Hofstätten und deren unabhängige Unterteilung, auch nach innen, zu einer anpassbaren Struktur. Dazu Divorn:

„Von Anfang an waren die Hofstätten darauf angelegt, mit mehreren Häusern bebaut zu  werden; das weitere Wachsen war also bereits bei der Gründung eingeplant.“ (2)

Und weiter:

„Diese Ausdehnung in die frei gebliebenen Räume des hinteren Teils der Parzellen setzte sich

im 18. und 19. Jahrhundert fort. Das gestattete der Stadt, sich ohne Bruch weiterzuentwickeln trotz der wechselnden Lebens- und Wohngewohnheiten der Einwohner. […]  Die Struktur der Stadt gab sowohl dem Barock als auch dem Klassizismus die Freiheit, sich zu entfalten. Die bei der Gründung eingeplante Möglichkeit, sich in die Höhe und in die Breite auszudehnen, begünstigte die harmonische Weiterentwicklung der Stadt in den folgenden Jahrhunderten.

[…] Die Geschmeidigkeit des Berner Stadtplans zeigt sich auch darin, dass es lange Zeit nicht nötig war, den Verkehr in der Stadt zu beschränken. […] Der Plan war auch anpassungsfähig genug, um die Wandlungen und das Anwachsen des Geschäftslebens und der Verwaltung im 19. Jahrhundert zu bewältigen, als Bern die Hauptstadt des neuen Bundesstaates wurde.“ (3)

Wie sich zeigt, können auch Städte mit komplexer Geometrie flexibel weiter entwickelt werden, wenn eine solche Entwicklung in den Ordnungsprinzipien angelegt wird. Für das Gelingen sind die Funktionen der einzelnen städtischen Elemente wichtiger, als deren exakte Geometrie. Die pragmatische Anpassung an das Gelände stört diese Funktionen nicht aber verbessert die Effizienz. Insofern sind die Zähringerstädte äußerst smarte Gebilde deren komplexe Formen eine Folge von Optimierungsbestrebungen sind. (Weiter bei…)

(1) Bern und die Zähringerstädte im 12. Jahrhundert, Mittelalterliche Stadtstruktur und Gegenwart, Françoise Divorn, Benteli, 1993, Seite 92

(2) ebd, Seite 96-97

(3) ebd, Seite 123-126