Zähringerstädte, Die tatsächliche Rolle des Wachstums

Zähringerstädte, Die tatsächliche Rolle des Wachstums

Welche Rolle spielt das Wachstum bei der Formgebung der Stadt? Was imitieren wir, wenn wir uns an die Formensprache der mittelalterlichen Stadt anlehnen?

(… vorher) Die Verwendung des Wachstumsbegriffes ist umstritten. Auf der einen Seite steht der unreflektierte Gebrauch, bei dem davon ausgegangen wird, dass sich die Stadt wie ein Organismus nach genetischen Regeln gebildet hat. Dieser Denkweise stellt sich Georg Mörsch mit Wehemenz entgegen:

„[…] Die Formel von der organisch gewachsenen Stadt [ist] bestenfalls Ausdruck der Unfähigkeit, diese besonders komplizierte Form der geschichtlichen Stadt adäquat, also geschichtlich zu lesen. […] Unsere Unfähigkeit, die Gestalt der scheinbar organisch gewachsenen Stadt zu verstehen, verdunkelt die Tatsache, dass jeder Stein in ihr zu einem bestimmten Zeitpunkt hergestellt, transportiert, bezahlt und zu einem bestimmten Zweck vermauert worden ist. – Und das ist Geschichte.“ (1)

Mörsch zielt darauf ab die Form der Stadt als eine Folge von vielen Einzelentscheiden darzustellen. Daher kann die Form auch nur verstanden werden, wenn die möglichst detaillierten Gründe offen gelegt werden. Das mag für Städte gelten, welche nicht bewusst gegründet wurden, welche sich also in einem langen Prozess aus einem dörflichen Marktplatz herausgebildet haben. Für die geplanten Städte, und das sind auch in der Epoche des Mittelalters eine grosse Zahl, hat die Geschichtlichkeit aber einen anderen Stellenwert. Wie sich gezeigt hat, spielt das Wachstum bei der Zähringerstadt für die Ausbildung der Grossform und der inneren Hauptstruktur eine verschwinden kleine Rolle. Diese Faktoren waren bereits bei der Grundsteinlegung bekannt.

Im kleinen Massstab, auf der Ebene der Hofstätte, haben sich die Einzelinteressen der Besitzer sicherlich stärker auf die Form ausgewirkt. Die Vorgänge des ständigen Umbaus über die Jahrhunderte sind wohl am ehesten im Sinne von Mörsch zu deuten. Die geschichtliche Lesart beschränkt sich damit aber auf den architektonischen Massstab und nicht auf die Stadt als Ganzes.

Wenn wir die Grundprinzipien von mittelalterlichen Planstädten übernehmen, oder uns an deren Form und Struktur anlehnen, dann richten wir uns in erster Linie an der Planform aus und nicht an einer gewachsenen oder geschichtlichen Struktur. Dies ist erst dann der Fall, wenn wir auch die Häuser im Detail der mittelalterlichen Formensprache nachempfinden. (Weiter bei…)

(1) Georg Mörsch, Denkmalverständnis, Vorträge und Aufsätze 1990-2002, vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, 2004, S. 132