Bearth + Deplazes, Zwei ins Kröpfchen keiner ins Töpfchen
Viele Bauwerke wurden schon in die Nähe des Monolithischen gebracht. Nicht alle können guten Gewissens auch mit dem Steinernen verbunden werden.
(… vorher) Nach der Definition des vorangegangenen Textes wird die Unterscheidung, zwischen dem, was sinnvollerweise als Monolithisch bezeichnet werden kann und dem, was nicht in diese Kategorie passt, relativ einfach. Wie dabei argumentiert werden könnte, sollen zwei Beispiele illustrieren:
Jean Nouvels schwimmender Würfel für die Expo 02 bietet sich für diesen Testlauf an, weil er über den Namen Monolith vermarktet wurde. Von weitem gesehen mochte man das Volumen noch als einheitlich lesen. Spätestens aus mittlerer Distanz konnte man die einzelnen Stahlplatten jedoch gut erkennen. Material und Oberfläche legten also nahe, dass es sich nicht um Stein handelte und dass das Bauwerk aus Teilen bestand. Wesentlicher noch als die Erscheinung und die Materialisierung selbst unterscheidet sich der gestalterische Grundgedanke vom Steinernen. Als Inspiration zum Entwurf diente das Bild „Die Toteninsel“ von Arnold Böcklin. Das Wesen dieses Bildes liegt in seiner eindrücklich morbiden Wirkung. Dazu tragen die Abgeschlossenheit der Insel, die düstere Farbwelt und der Fährmann in seinem Boot bei. Das Monolithische ist nicht Teil dieser Wirkung, zumal die Insel nicht zwingender massen aus einem Stück bestehen muss.
Zentral am Werk des französischen Architekten waren der Inselcharakter und der damit zusammenhängende Fährweg, was auch dem Hauptmerkmal der Bildvorlage entspricht. Die gestalterische Kraft der schroffen Inselformation verstärkt sich in ihrem Bezug zur glatten Seeoberfläche. Zum anderen ist es die mythische Stimmung, die durch den Lichteinfall aber auch durch die asketische Abgeschlossenheit entsteht. Insofern entsprach die Architektur mehr seiner bildnerischen Vorlage als seiner Namensgebung. Es kann von einem abstrahierten Solitär gesprochen werden, aber eben nicht von einem Monolithen.
Gänzlich anders geartet ist die Wohnüberbauung an der Neufrankengasse in Zürich. Die SBB hat direkt am Gleisfeld des Hauptbahnhofes einen Sichtbetonbau erstellen lassen. Die Architekten EM2N bezeichnen ihr Bauwerk sporadisch ebenfalls als Monolith (1). Dies geschieht auf Grund seiner tiefen Leibungen, seiner komplett in Sichtbeton ausgeführten Oberfläche und seiner massigen Erscheinung. Die gewichtigsten Argumente, die gegen die Bezeichnung als Monolith sprechen, sind die Gebäudeproportionen und der grosse Lochanteil. Die Fenster sind zwar allesamt als Teil einer Lochfassaden zu verstehen, allerdings sind die Ausmasse der Verglasungen über eineinhalb Geschosse hoch, so dass kaum noch von einer gedrungenen Erscheinung gesprochen werden kann. Es gibt mehr Lehrstellen als Stein. Die Struktur könnte auch als grober Schwamm gelesen werden. Die starke Längsform weist schliesslich ganz weg vom Monolithischen. Als Stein sind uns eher gleichmässige, kompakte Formen geläufig. Langgezogene Riegel kommen beim natürlichen Vorbild kaum vor. Diese Eigenschaften weisen stark von der Lesart als Einstein weg.
Die beiden Beispiele zeigen es: Fehlen auch nur schon wenige Eigenschaften des Monolithischen, trifft die Beschreibung den Kern der Gestaltung nicht mehr. Beide Projekte können nur hinsichtlich einzelner Teile als Monolith beschrieben werden. Wird deren ganze Erscheinung beschrieben, wird die Bezeichnung hinfällig. Es ist daher wünschenswert, präzise Bezeichnungen zu finden, die hier Abhilfe schaffen können. (Weiter bei…)
(1) Interview von Swiss-Architects mit Gerry Schwyter von EM2N, „Monolithischer Betonschroppen“, auf URBANHome: http://www.langstrasse151.ch/index.php/die-geschichte-zum-haus/em2n-warum-wir-das-projekt-gewonnen-haben.html, gelesen 28.03.2015: „Die Konstruktion aus Sichtbeton prägt das Gebäude. Der Beton hat es möglich gemacht, dem Gebäude eine starke Präsenz und Standhaftigkeit zu verleihen. Die tiefen Leibungen machen das Haus zum Objekt, zum Monolith.“