Cook / Fournier: Hinter dem Vorhang
Wilde Formen sind eine wunderbare Sache – und wenn sie nicht nur aus Marketingüberlegungen erzeugt wurden, umso besser. Andere Architekten geizen jedoch auch nicht mit plastischem Erfindungsreichtum. Was macht also gerade diese spezifische, organische Form des Grazer Kunsthauses aus? Was rechtfertigt sie?
(…vorher) Wir habe sie alle schon gesehen: Die Keilformen eines Daniel Libeskind, die Stromlinien einer Zaha Hadid usw. Spektakuläre Projekte noch und noch, werden in den einschlägigen Architekturzeitschriften und Webblogs umhergereicht. Bei all dieser formalen Opulenz drängt sich immer die Frage nach deren Begründung auf.
Selbstverständlich liefern die betreffenden Autoren die notwendigen Erläuterung mit einem schön gestalteten Coffee Table Book mit. Der ästhetisierte Bildband komplettiert die Wahrnehmung eines jeden grossartigen architektonischen Werkes. Doch was befindet sich hinter dem Schein der Bilder? Was bleibt vom Projekt bestehen, wenn wir den Schleier der Extravaganz lüften?
Hinter diesem Vorhang liegt im Falle des Grazer Kunsthauses das Versprechen einer utopischen Welt. Nahe liegt, dass es sich dabei um jene, in den Siebzigerjahren kreierten Ideen der Archigram-Autoren handelt. Zur Erscheinung der gehenden Städte lassen sich im Entwurf des Kunsthauses durchaus Parallelen entdecken. Allerdings ist seither einige Zeit ins Land gezogen. Blasen als architektonische Form sind erst seit den 90-er Jahren zu einem relevanten Thema geworden. Für den Durchbruch solcher Formen bedurfte es zunächst des technischen Fortschrittes in der Planung und Umsetzung komplexer Geometrien, was mit CAD und CNC schliesslich noch vor der Jahrtausendwende Realität wurde. Das Kunsthaus ist demnach auch ein Kind seiner Zeit, mindestens was seine technische Machbarkeit angeht.
Es kommt aber noch ein weiteres Thema hinzu: Die Verweigerung des Architektonischen. Mehr als alle anderen möchte dieses Haus kein Haus sein. Hier wird nicht versucht ein tierisches Vorbild in ein Gebäude zu übersetzen. Das Alien ist nicht die Inspiration für den Entwurf, es ist das Resultat.
Was damit gemeint ist, lässt sich im Vergleich zur Innsbrucker Hungerburg Bahnstation Zaha Hadids erläutern. Das Vorbild einer Eisformation ist im Entwurf klar ablesbar. Dennoch wird die künstlerische Abstraktion gesucht. Das „kalte“ Material ist stark ästhetisiert. Jede Ecke ist konzeptuell korrekt durchgeformt. Alles ist sauber, abgeklärt und durchorchestriert. Das Bauwerk wirkt, trotz seiner deutlichen Bezüge zum Eis, als Bauwerk. Ganz anders verhält sich das Grazer Kunsthaus. Ihm kann ein spielerisch, kindlicher Ausdruck zugesprochen werden. Die Autoren nennen ihr Werk einen freundliches Alien, das flauschig wirken soll. Das Wesen wird ganz konkret gezeigt und verströmt damit, im positiven Sinne, den Scharm des Naiven. Das Haus hat den Charakter einer Seeanemone, die sich am Häuserriff festgesetzt hat und dabei keine Anstalten macht, sich einfügen zu wollen. Es ist bunt und will auch nicht gänzlich für voll genommen werden. Der Korallenberg unter ihm ist seine Bühne, also nichts woran man sich anpassen müsste.
In seinem Verständnis als Sonderling ist seine Wirkung durchschlagender als jeder Bau von Hadid oder Libeskind. Es grenzt sich nicht nur formal ab, sondern behauptet von sich, nicht einmal ein Haus zu sein. (Weiter bei…)