Zürich, der blinde Fleck
Zürichs städtebauliche Struktur wurde in den letzten Jahren stiefmütterlich behandelt. Es wurde viel in die Qualität der Architektur investiert, aber deren verbindender Rahmen wurde nicht entwickelt. Was also ist zu tun?
(… vorher) Die Stadt sollte daran gehen eine Vision zu entwickeln, wohin sich die typologische Gestalt der Stadt entwickeln soll. Mit Stadt sind nicht nur die Behörden oder der Gesetzgeber gemeint. Es sollen alle interessierten Kreise miteinbezogen werden. Gerade unter den Architekten braucht es einen Diskurs, der im besten Fall zu einem Konsens führt. Auf der Basis einer oder mehrerer Szenarien soll sich schliesslich auch das Volk zur Form der Stadt äussern können.
Ein solcher Diskurs zwischen Fachpersonen und interessierten Laien hat das Ziel der Stadtform einen übergeordneten Zusammenhang zu verleihen. Hierzu müsste zu Anfang ein möglichst breites Spektrum an Ideen gesammelt werden. Ein grosser städtebaulicher Ideenwettbewerb kann dies leisten. Gleichzeitig können die bereits bestehenden Interventionen bewertet werden: Welche Strukturen sind besonders wertvoll und was hat sich weniger bewährt. Wo sind welche Interventionen sinnvoll, und wo sollten sie vermieden werden. Aus dem Ideenwettbewerb und der Bestandesanalyse kann schliesslich ein Katalog von verschiedenen Stadtstrukturen erstellt werden.
Dieser Katalog dient als Basis zur Beschreibung der einzelnen Quartierscharaktere. Dabei wird die Stadt in sinnvolle Bereiche unterteilt, für welche dann eine oder mehrere Bautypologien vorgeschlagen werden. Zur besseren Verständlichkeit können die Typologien mit architektonischen Beispielen ausformuliert werden.
Die Ergebnisse werden, in vereinfachter Form, den Wählern zur Abstimmung vorgelegt. Auf der Basis dieses Entscheides werden Hüllkörper und detaillierte typologische Beschriebe verfasst, nach denen sich die Bauherrschaften und Planer richten können.
Selbstverständlich kann in einer freien Gesellschaft niemandem vorgeschrieben werden, sich an eine solche Leitlinie zu halten. Die Mehrheit wird es aber dennoch tun, wenn dies mit dem Gewinn von Mehrnutzung verbunden ist. Auf diesem Wege wird die Stadt wesentlich präziser gestaltet, als dies mit dem Mittel der Bau- und Zonenordnung möglich ist.
Wer aber soll diese ganze Arbeit leisten und wie ist es mit der Flexibilität eines solchen Stadtplanes bestellt? Sicher werden sich die Hochschulen im In- und Ausland für ein solches Projekt einspannen lassen. Zudem werden sich etliche Architekten finden, die bereit sind Frondienst zu leisten, wenn dieser Aufwand mit Stimmrechtsanteilen im Gestaltfindungsprozess verbunden ist. Im Vergleich zu den unzähligen Stunden, die das durchschnittliche Zürcher Architekturbüro erfolglos an Wettbewerben teilnimmt, sollte dieser zusätzliche Effort zu leisten sein. Die Flexibilität aber liegt in der Definition der Struktur selbst. Es wird eben kein architektonisches Konzept erarbeitet, wie wir das aus den heute gebräuchlichen Wettbewerben kennen. Vielmehr geht es um die Definition von Rahmenbedingungen in der die Architekten sich bewegen können. Dabei werden einzelne Elemente, wenn nötig bis ins kleinste Detail, beschrieben, aber in anderen Belangen eine grosse gestalterische Freiheit geschaffen. Für die Bauherren bedeutet eine solche Vision ebenfalls keine Einschränkung. Sie werden die Mehrnutzung höher gewichten, als irgendein anderes Kriterium. Zudem sind einzelne Abweichler in einer ansonsten klaren Struktur kein Weltuntergang.
Für die Erstellung einer städtebaulichen Vision und deren Umsetzung in einer typologischen Leitlinie gibt es nur ein Hindernis: Der fehlende Mut es anzupacken.