Wiel Arets, synthetische Materie
Material ist Material und Bild ist Bild. Diese Logik wird schon seit geraumer Zeit unterwandert. Man denke nur an die Laminat-Parkettböden oder Natursteinattrappen aus Keramik, die immer näher an ihr natürliches Vorbild heranreichen. Mögen sie auch ihre Vorteile haben, geliebt werden diese neuartigen Werkstoffe nicht. Wiel Arets hat in Wallisellen jedoch einen neuen Zugang zu diesem Thema geschaffen, der zu mehr führen kann, als nur zu günstigeren Bodenbelägen.
(…vorher) Wozu braucht es eigentlich neue Materialien? Lässt sich nicht auch mit den herkömmlichen Produkten gut gestalten? Ja, aber neue Stoffe bringen neue Möglichkeiten und verändern damit die Disziplin an sich. Immer wieder wird beispielsweise der Stahlbeton herangezogen, um die Entwicklung der modernen Architektur ab 1900 zu erklären. Um 2000 waren es die CNC gefertigten Bauteile, welche den Gestaltern eine ganze Welt an formalen Möglichkeiten eröffneten und für die Zukunft hört man immer wieder vom Potenzial der Nanotechnologie.
Aber nicht nur die Erfindung gänzlich neuer Stoffe kann die Gestaltung beflügeln. Auch die unerwartete Kombination schon bestehender Materialien birgt grosse Potenziale: Das Bedrucken von Glasfassaden beispielsweise hatte in den 90-er Jahren seinen ersten Höhepunkt. Hier sei an Herzog und de Meuron erinnert, welche diese Form der Gestaltung zur Meisterschaft getrieben haben.
Wiel Arets hat aus dieser Warte betrachtet nur nachgeahmt, was andere vor ihm entwickelt haben. Doch mit Siebdruck lässt sich ganz unterschiedliches schaffen. Mit einem einzigen Bauwerk ist diese Gestaltungsform längst nicht ausgeschöpft. So ist das Verfahren des Papyrus-Aufdruckes an Arets Bibliothek zwar mit HdM’s Abbild eines Kräuterblattes auf dem Ricolagebäude in Mulhouse vergleichbar (damals auf Kunststoffplatten), von der seriellen Anwendung von Kunstfotografien im Falle Ricola, ist die Steingrafik am Hauptsitz der Allianz Versicherung jedoch weit entfernt. Hier wird kein beliebiges Bild gezeigt, sondern ein Material abgebildet. Im Gegensatz zu einem Objekt, wie den Grashalmen oder einem Pflanzenblatt, wird eine Marmorplatte durchaus als Baumaterial verwendet. Die Differenz liegt also darin begründet, dass man, die finanziellen Mittel vorausgesetzt, einfach eine echte Steinplatte verbauen könnte, was für Blatt und Gras nicht zur Debatte steht. In dem man nun bewusst das Abbild des Steins auf Glas verwendet, entsteht eine neue Kategorie von Materialien.
So weit so gut, wo aber liegt nun der Unterschied zum Prinzip des Laminats? Oder spezifischer auf die Fassade zugeschnitten: Wo liegt der Unterschied zwischen einer bedruckten Keramikplatte und einer Glasplatte, die beide Stein simulieren?
Es ist der unterschiedliche Zugang zur Frage der Echtheit. Keramikplattenhersteller gehen mitunter soweit, die Steinmaserung nicht nur mittels Aufdruck, sondern zusätzlich als feines Relief auf die Platte zu pressen. Das Ziel solcher Bestrebungen ist die perfekte Illusion der angestrebten Materialwirkung. Diesen Anspruch hat der Glasaufdruck nicht. Die Reflexion der Scheibenoberfläche ist charakteristisch für das Glas. Sie unterwandert die Wirkung des Aufdruckes. Zwischen Bild und Glas entsteht ein Kampf um die Vorherrschaft, bei der die Sonneneinstrahlung den Gewinner bestimmt. Dieser Effekt erzeugt ein Spiel um die Lesart des Materials. Hierin liegt letzten Endes die Möglichkeit sich nicht nur auf eine Stofflichkeit festlegen zu müssen. Der Aufdruck kann verschiedene Realitäten zusammenbringen. Das synthetische Material birgt die Möglichkeit zu einer synthetischen Wirkung. (Weiter bei…)