Auflösung durch die Ausrichtung

Auflösung durch die Ausrichtung

Das Reihenhaus bringt eine eindeutige Ausrichtung mit sich. Von den Bernoullihäusern an der Hardturmstrasse (1924) zur Werkbundsiedlung Neubühl in Wollishofen (1930) zeigt sich dennoch ein grosser Schritt weg von einer strengen Ordnung, hin zu einer immer schwächer ausgeprägten Beziehung der Häuser zueinander.

(… vorher) Wo bei den Benoullihäusern noch je zwei Zeilen eine gemeinschaftliche Gasse bilden, ist davon bei der Siedlung Neubühl nichts mehr geblieben. Die Überbauung der Architekten Paul Artaria und Hans Schmied, Max Ernst Haefeli, Carl Hubacher und Rudolf Steiger, Werner M. Moser, Emil Roth und Gustav Ammann (Landschaftsarchitekt) (1) weisst grosse, regelmässige Abstände zwischen den Gebäudereihen auf. Die Erschliessung der Bauten funktioniert über schmale Fusswege, welche entlang der Rückfassaden zu den einzelnen Eingängen führen. Wie die Zeilen selbst sind diese Fusswege rechtwinklig von der Erschliessungsstrassen abgedreht. Hier wenden sich die Häuser also nicht nur von den Hauptzufahrtsstrassen ab, wie das bei den Bernoullihäusern der Fall ist. Sie vergrössern auch untereinander die Distanz. Doch nicht nur die Abstände zwischen den Häusern sind es, welche die Nachbarschaft auseinanderdriften lässt. Wesentlicher noch ist der Einfluss der konsequenten Süd-Südwestausrichtung. Dadurch liegen die Hauszugänge jeweils auf den voneinander abgewandten Fassaden. Es begegnen sich also nur die Bewohner der selben Zeile und das auch nur zufällig. Eine Begegnungszone sind diese Erschliessungswege nicht mehr. Obschon die Bauten parallel zueinander ausgerichtet sind und sie ihre formale Ausbildung als Einheit erscheinen lässt, sind die funktionalen und sozialen Zusammenhänge der Siedlung äusserst schwach ausgebildet. Damit löst sich der Zusammenhang der Stadt auf einer weiteren Ebene auf.

Von dieser Auflösung sind jedoch nicht nur die Beziehungen zwischen den Bauten betroffen, sondern auch die Lesart der Bauten selbst. Bei der Siedlung an der Hardturmstrasse lässt sich so etwas wie eine Strassenfassade und eine Hofseite identifizieren. Hier kommen die Zeilenbauten, trotz ihrer seitlichen Offenheit, den Eigenheiten des Blockrandes sehr nahe. Die Werkbundsiedlung Neubühl verkehrt diese Ordnung in zweierlei Hinsicht. Zum einen stellt sie die Hauptfassade jeweils der nächsten Rückfassade entgegen. Zum anderen richtet sie die Wohnung auf den Hintergarten und die Nebenräume auf die Eingangsseite aus. Nicht mehr der soziale Austausch steht im Vordergrund, sondern die Ausrichtung nach der Sonne und der Aussicht. Das Reihenhaus wird damit auf der funktionalen Ebene neu gestaltet. Diese funktionale Neuausrichtung wirkt sich schliesslich auch auf die Lesart des Volumens selbst aus. Wo es zuvor noch eine klare Gewichtung zwischen den Gebäudeseiten gab, ist nun nicht mehr so eindeutig wie die Bauten zu lesen sind. Dem Ankommenden wendet das Haus seine Rückseite zu. Die Hauptfassade kann man nur aus der Distanz sehen. Die Gebäudeseiten gleichen sich an. Es scheint fasst so, als könne man um das Gebäude herum gehen, ohne eine wirkliche Hauptseite zu entdecken. Die Struktur der Stadt basiert hier nur noch auf der geometrischen Ebene. Mit der Marginalisierung der Erschliessung für die sozialen Kontakte und dem Wegdrehen von den Nachbarn, sind die wesentlichsten Schritte zur Auflösung einer städtischen Einheit der Bauten getan. (Weiter bei …)

(1) Haefeli, Moser, Steiger, Die Architekten der Schweizer Moderne, Sonja Hildebrand, Bruno Murer und Wernder Oechslin (Hrsg.), gta Verlag, Zürich, 2007, S. 221