Warum Struktur?
In der Stadt herrscht eine Hochkonjunktur der formalen Brüche, aber ist das auch wirklich so schlimm?
(…vorher) Werfen wir einen Blick auf das Stadtmodell von Zürich. In einem Meer von hölzernen Modellhäuschen stechen die Neubauten in weissem Material heraus. Man gewinnt schnell einen Eindruck davon, welche Bauformen heutzutage im Trend liegen und es sind nicht wenige. Da sieht man die grossen, gestreuten Quader, die überdimensionalen Blockränder, die Längsriegel, bis zu allerlei kleinformatigen Bauten. Alle diese Typologien sind bunt durcheinander gemischt. Die Suche nach dem gleichartigen, nach dem Verwandten ist hier nicht gefragt. Besonders die direkt benachbarten Projekte zeigen teilweise sehr grosse Unterschiede. Es scheint fast so, als sei die Differenz als solches das erstrebenswerteste Gut. Doch woran liegt das?
Es muss mit dem Wunsch der Architekten, etwas Besonderes zu schaffen, zu tun haben, dass so viele unterschiedliche Lösungsansätze im Raum stehen. Es hat wohl aber auch damit zu tun, dass die Stadt auf die Art der Bebauungstypologie keinen Einfluss nimmt. Im Vordergrund steht bei ihr offensichtlich die Gewährleistung der architektonischen Qualität. Nur so ist es zu erklären, dass sie für Arealüberbauungen lediglich Architekturwettbewerbe fordert, aber vorgängig keine städtebaulichen Vorgaben erarbeitet. Die Bauordnung beispielsweise hat eine äusserst grobe Vorstellung davon, wie sich die Stadt in den einzelnen Gebieten entwickeln soll. Sie unterscheidet (die Kernzone und Quartierserhaltungszone ausgenommen) das Wohnen lediglich zwischen durchgrünter und geschlossener Stadt. Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich die Stadt in formaler Hinsicht kaum klar ausprägen kann. Der Siedlungsraum als formale Einheit scheint damit Projekt für Projekt verloren zu gehen. Doch weshalb ist diese Einheit so wichtig? Ist die Qualität einer Stadt von dieser Einheit tatsächlich abhängig?
Ein Stadtrundgang kann auf diese Frage eine mögliche Antwort liefern. Begegnen uns alle paar hundert Meter unterschiedliche Strukturen, dann nehmen wir diese Umgebung nicht als eine Einheit war. Wir bringen den Blockrand nicht mit den Einfamilienhäusern, dem frei stehenden Längsriegel und den Punkt-Mehrfamilienhäusern zusammen. Das Ergebnis ist so klar wie banal! Dem Betrachter erschliesst sich kein Zusammenhang zwischen den Bauten. Er wird die Stadt als solches nicht fassen können. Die Siedlung macht sich nicht verständlich. Ein Sinn in der Bauform ist nicht auszumachen. Eine Identität ist nicht erkennbar. Denn Identität entsteht nicht auf Grund eines Gebäudes. Es betrifft das gesamte Umfeld, das zu einem Ausdruck zusammenwächst. Dabei geht es nicht um die Eintönigkeit der immer gleichen Fassaden. Es geht um die Bebauungstypologie, also um das Verhältnis von Aussenraum und Baukörper, um das Bebauungsmuster, die Körnung, um die Gliederung, Proportionen und Rhythmen. Besteht auf dieser Ebene eine Durchgängigkeit, eine Verwandtschaft, so kann ein Lebensumfeld mit Wiedererkennungswert entstehen. Die Einheit des Ganzen erzeugt ein greifbares Bild, welches das Verständnis des Lebensumfeldes unterstützt.
Formale Brüche ohne funktionalen Hintergrund machen die Stadt schwer fassbar. Sie erzeugen ein Durcheinander, das der Lebensqualität abträglich ist. Aus diesem Blickwinkel lassen die guten, aber typologisch unterschiedlichen Architekturen welche in Zürich entstehen, einen fahlen Nachgeschmack zurück – und den Wunsch nach mehr städtebaulicher Präzision. (Weiter bei …)