Kulturort Mall

Kulturort Mall

(… vorher) Ist die Mall die Antithese zur Kultur? Das Beispiel Kuwait City zeigt, wie zentral Malls für eine Gesellschaft sein können.

Wagen wir einen Blick von aussen auf eine Kultur. Für einen Perspektivenwechsel reisen wir weg von der kleinräumigen, gebirgigen Schweiz nach Kuwait. Dieses Emirat am Persischen Golf ist hier zu Lande hauptsächlich durch seine Nachbarschaft mit dem Irak und den Krieg um Öl bekannt geworden. Allenfalls denkt man an ein flaches Wüstengebiet. Mit dem Thema der Shoppingmall wird Kuwait im Allgemeinen nicht verbunden. Doch gerade hier hat die Mall einen besonderen Stellenwert. Dies mitunter deshalb, weil die kulturelle Entwicklung in diesem kleine Land einen sehr interessanten Verlauf genommen hat.

Auslöser dieser Entwicklung war ebenfalls das Öl. Bevor der „Schwarze Segen“ über das Land kam, lebten wenige Fischer und Perlentaucher in kleinen Siedlungen am Meer und ein paar Beduinen in der Wüste dahinter (1). Mit dem Boom der Erdölförderung katapultierte sich, das zuvor so beschauliche Gebiet, von einem Agrarstaat in ein reiches Industrieland. Der Wechsel kam plötzlich. Die Bewohner hatten keinen Chance sich langsam anzupassen. Viele ausländische Arbeiter kamen ins Land und liessen die Staatsbürger so zur Minderheit werden: heute liegt der Ausländeranteil bei über 66 Prozent. Durch das Geld, dass nun aus dem Wüstenboden sprudelte, war plötzlich alles möglich. In einem ersten Schritt führte dies zu einer „Verwestlichung“ der Kultur. Wie uns Einheimische berichteten, wurden die sittlichen, verhüllenden Kleider durch Bikinis eingetauscht. Das mondäne Leben der Europäer und Amerikaner diente als Vorbild. Doch dieser Umbruch verlief zu schnell und überforderte das Volk. Es folgte die Rückbesinnung auf die alten Werte – eine kulturelle Gegenreformation.

Seither steckt das Land im Zwiespalt zwischen den Errungenschaften der westlichen Moderne und dem, was als die „Alten Traditionen“ verstanden wird. Allerdings ist das tatsächliche kulturelle Fundament vergleichsweise dünn. Dies zeigt sich auf einem Rundgang durch die spärlichen Museen der Hauptstadt: Das „Kuwait National Museum“ zeigt Szenen aus dem Alltag der Perlentaucherei und Fischerei. Ein ausgeprägtes Kunsthandwerk oder prunkvolle Schätze früherer Herrscher sind nicht zu bestaunen. Es hat den Anschein, als hätte sich die Gesellschaft vor dem Ölboom kaum spezialisiert gehabt, um eine starke Handwerkskunst herauszubilden. Kulturhistorisches wird nur noch in zwei weiteren Museen gezeigt. Der Reiseführer erwähnt das „Tareq Rajab Museum“, eine Privatsammlung für Kunsthandwerk und Kaligraphien und das „Beit Alsadu“, das die Webkunst der Beduinen thematisiere. Auch in der Neuzeit scheint sich der Stellenwert von Kulturgütern nicht vergrössert zu haben. Das „Museum of Modern Art“, ein kleines unscheinbares Gebäude, beherbergt ein paar wenige Werke lokaler Künstler der Neuzeit. Der Kulturbetrieb, wie ihn der Westeuropäer gewohnt ist, fristet hier ein Randdasein. Aber gibt es deshalb gar keine Kultur?

Mag das Handwerk auch nicht hervorstechen, der Handel tut es. Ein grosser Tiermarkt, der „Freitagsmarkt“ bietet alles an, was kreucht und fleucht. Im alten Souk „Mubarakiya“ reihen sich Kleider-, Schmuck-, Gewürz-, und Ramschläden dicht an dicht. Die Krönung des Handels ist aber neueren Datums. Über das ganze Stadtgebiet verteilt sind Malls zu finden – und was für welche. In Sachen Weitläufigkeit und Opulenz brauchen sie sich nicht zu verstecken. Die Anlage „The Avenues“ ist nach Angaben der Betreiber gar eine der grössten im Mittleren Osten. Diese Superlative widerspiegelt zum einen die Kaufkraft einer breiten Oberschicht, sie sagt aber auch etwas über die exzessive Nutzung solcher Anlagen aus. Aus Ermangelung an anderen Möglichkeiten die Freizeit ausserhalb des Eigenheims zu verbringen, übernehmen die Mall‘s eine zentrale Rolle. Das mag sicher auch am Klima liegen. Wo Temperaturen von bis zu 53° Celsius (2) im Schatten herrschen können, hält man sich verständlicherweise an klimatisierte Innenräume. Aber auch gesellschaftliche Eigenheiten verhindern die Belebung des Aussenraumes. Trotz Meeranstoss wird kaum an allgemein zugänglichen Stränden gebadet. Das Leben findet vorwiegend im Privaten statt. Die Mall bietet vor diesem Hintergrund eine willkommene Abwechslung: Kinos, Restaurants und eine Vielzahl von internationalen Marken sind dort angesiedelt. Man glaubte sich an der Zürcher Bahnhofsstrasse, sähe man nicht ab und an eine arabisch gekleidete Person. Die Mall‘s sind beliebte Treffpunkte. Hier kann man unter Leuten sein. Wo andere Institutionen zu schwach, oder gar nicht vorhanden sind, da ist ein solcher Ort ein Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Die Mall bietet vielleicht keine Gemälde und Skulpturen nach westlichem Vorbild. Sie formt aber eine Lebensart heraus, die durchaus als Kultur verstanden werden kann. (Weiter bei …)

(1) 1950 = 93’000 Personen
Aus: Population and Development of the Arab Gulf States, The Case of Bahrain, Oman and Kuwait. Nadeya Sayed Ali Mohammed, Ashgate Publishing Limited, Hampshire England, 2003, S. 4
(2) Am 31. Juli wurde in Sulaibija einem Vorort von Kuwait City laut wetteronline.de und news.orf.at 53,6 Grad im Schatten gemessen.