Glatt-Center und Sinnzusammenhang

Glatt-Center und Sinnzusammenhang

Die Mall in Kuwait bildet einen Sinnzusammenhang, eine Leitvorstellung der Kultur. Lässt sich etwas Ähnliches auch über die Mall in der Schweiz behaupten?

(… vorher) Mall‘s in der Schweiz übernehmen Zentrumsfunktionen, sie sind aber nicht konkurrenzlos. Der Einfluss von alten Stadtkernen ist erdrückend. Die Mall erreicht nicht annähernd den Stellenwert, den sie in Kuwait einnimmt. Trotz einer beachtlichen Dichte an Angeboten bleibt sie aus gesellschaftlicher Sicht eine Randerscheinung. Nicht nur, weil sie sich geografisch im Abseits der traditionellen Zentren ansiedelt, sondern weil sich die Siedlungsentwicklung schon seit Jahrhunderten auf die gleichen Kerne konzentriert. Das Autobahnnetz ist dagegen eine neue Erscheinung. Und auch wenn sich die Gesellschaft stark auf das Auto als Transportmittel ausgerichtet hat, so wiegt das Gewicht der Geschichte in den Köpfen der Menschen noch immer schwerer.

In der Schweiz bildet die Mall eine Alternative zum Stadtzentrum. Sie leistet was die Fussgängerzone für gewöhnlich nicht leisten kann. Sie ist durch die starke Konzentration der Angebote sehr effizient. Sie verfügt meist über eine ideale Erschliessungsinfrastruktur. Autobahnausfahrt und Parkhaus ermöglichen ein bequemes Anreisen und den Abtransport von grossen Mengen an Waren. Die „Beute“ muss nicht mehr in Tragetaschen oder Velokörben nach Hause geschleppt werden. Diese Leistungsfähigkeit macht die Mall jedoch noch nicht zu einem kulturellen Zentrum. Sie als reine Dienstleistungszentrale abzustempeln ist dennoch zu kurz gegriffen. Für bestimmte Lebensentwürfe bildet die Mall auch in der Schweiz mehr als eine seelenlose Verrichtungsbox der Konsumbedürfnisse. Erscheint es uns auch zu hoch gegriffen sie ganz allgemein als die „Sinnzusammenhang gestaltende“ (1) Institution zu definieren, so ist sie es doch mindestens teilweise. Einkaufen ist zu einem Freizeitvergnügen geworden, welches die Menschen ebenso prägt, wie andere Formen der Unterhaltungskultur auch. Die Mall ist kein Fremdkörper in der Gesellschaft. Sie hat ihren Platz und ihre Berechtigung gefunden. In der Breite der Angebote bleibt sie dennoch klar ein Angebot unter vielen.

Dieser Stellenwert lässt sich exemplarisch am Glattzentrum in Wallisellen erläutern. Das Einkaufszentrum bietet eine grosse Auswahl an Läden und spezifischen Dienstleistungen. Nicht im Angebot sind die klassischen Freizeitangebote. Kino, Billard, Bowling, Wellness, usw. sucht man vergeblich. Die Mall bietet hauptsächlich Verkaufsgeschäfte für alle möglich Warenarten und Dienstleister wie Reisebüros und Coiffeursalons. Daneben kann man sich in diversen Restaurants und Cafés verpflegen. Der Angebotsmix zeigt, welchen Tätigkeiten an diesem Ort nachgegangen wird. Es wird dort eine grosse Bandbreite an Bedürfnissen abgedeckt, aber bei weitem nicht alle. Dies trifft jedoch auch für Orte zu, die im traditionellen Stadtbild unbestritten als Zentrum angesehen werden. Der Stadtplatz mit der Kirche der Stadtbibliothek und ein, zwei Läden verfügt über viel weniger Anziehungspunkte als die Mall. Dennoch gilt er selbstverständlich als Zentrum. Das mag an seiner geografischen Lage in Mitten des Stadtkörpers liegen. Es kann auch der Symbolkraft des Kirchturms geschuldet sein. Die Menge der Menschen trägt jedoch kaum dazu bei. Nicht immer werden sie durch bauliche Mittel hervorgehoben. Nicht immer müssen sie viele Menschen anlocken. Im Lichte dieser Erkenntnis kann auch die Mall, trotz ihrer geografischen Aussenseiterlage als Zentrum verstanden werden. Sie ist das Zentrum in einem Strassennetz, das sich vor allem durch den Zustrom an Konsumenten rechtfertigt. Sie ist das Zentrum einer Stadt, die nicht auf die Gemeindegrenzen beschränkt ist, sondern als ein regionales Phänomen verstanden wird. Im Falle des Glattcenters ist die Mall Teil des Grossraumes der Stadt Zürich.

Wie sich zeigt, gibt es verschiedene Kriterien, die einen Ort zum Zentrum werden lassen. Was davon einen Sinnzusammenhang stiftet, hängt mit der Sichtweise der jeweiligen Gruppen innerhalb der Gesellschaft zusammen. Auch Malls können in spezifischen Gemeinschaften oder Schichten als Leitvorstellung ihrer Kultur dienen. Allerdings gilt diese Sichtweise nicht für die gesamte Gesellschaft – oder noch nicht. Dahingehend haben Stadtplätze einen historisch begründeten Vorsprung. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich auch Malls zu solchen Zentren entwickeln können. Zu Teilen leisten sie bereits ähnliches. (Weiter bei …)

 

(1) Brockhaus, Band 16, S.61