Mall ungleich Stadt

Mall ungleich Stadt

Wer die Mall versteht, versteht die Stadt – zumindest ein bisschen. Theoretiker wie Dieter Hoffmann-Axthelms sehen die Einkaufszentren als Spiegelbilder des Urbanen. Mögen den Konsumparadiesen noch so viele negative Eigenschaften anhaften, sie gäben doch mindestens Rückschluss auf das, was Stadt im Kern sei. Auf den ersten Blick besticht dieser Standpunkt – hier ein Zweiter.

Die Einkaufsparadiese dienen immer wieder als Ausgangslage zur Beschreibung der Stadt – so auch in Dieter Hoffmann-Axthelms Essay „Das Einkaufszentrum“. Sein Ansatzpunkt besteht darin, die Mall als Simulation der Stadt zu begreifen. Dies begründet er sowohl auf einer formalen Ebene, als auch mit dem Argument der Dichte. Einerseits lehne sich die Form der inneren Erschliessung solcher Einkaufszentren mit ihren Plätzen und symmetrischen Achsen stark an den Ordnungsprinzipien der Stadt um 1900 an. Andererseits ermögliche die Mall, gleich wie die Stadt, die räumliche Nähe von Bedürfnis und Angebot. Doch trifft dies wirklich zu?

Der Mittelerschliessung der Mal kann zwar durchaus eine ähnliche Funktionsweise, wie der städtischen Strasse zugestanden werden. Es ist aber äusserst fraglich, ob diese Ähnlichkeit durch Simulation, respektive Imitation, entsteht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sich der Erschliessungstyp durch eine simple Flächenoptimierung ergibt. Läden auf beiden Seiten eines Korridors anzuordnen ist nun mal effizienter als sie nur an einer Seite aufzureihen. Dabei geht es nicht nur um die Optimierung von Verkaufsflächenanteilen und die Maximierung von Schaufenstern, sondern auch darum, das Einkaufen möglichst bequem zu gestalten. Gäbe es nur Ladenflächen auf einer Seite, müsste der Kunde die doppelte Strecke zurücklegen um an allen Läden vorbei zu kommen. Bei der Grösse heutiger Zentren kann sich das in handfesten Umsatzeinbussen auswirken. Einsparungen durch die Zweiseitigkeit der Erschliessungswege entfalten selbstverständlich auch in der Stadt ihre Vorteile. Dennoch muss die Organisation der Mall keine Ableitung der Organisation der Stadt sein. Beides beruht lediglich auf denselben geometrischen Prinzipien.

Auch in anderer Hinsicht ist der Vergleich mit der Stadt um 1900 kaum statthaft. Die Mall ist ein Innenraum und meist über mehrere Geschosse organisiert. Unter dem Einfluss dieser beiden Faktoren entstehen gänzlich neue gestalterische Voraussetzungen. Im städtischen Aussenraum lassen sich diese nicht wiederfinden, ganz egal welche Epoche man heranzieht. Die Vielfalt der Blickpunkte und Bewegungsmöglichkeiten, sowohl horizontal wie auch vertikal, ermöglichen eine planerische Freiheit, welche im Stadtraum bislang keine Entsprechung gefunden hat. Es scheint fast so, als fördere die Regulierbarkeit des Klimas und die gesamtheitliche Gestaltung die Art des Raumes. Die Atrien der Einkaufszentren können als dreidimensionale Plätze gelesen werden. Da weder klimatische Grenzen noch Gebäudeabstände beachtet werden müssen, lässt sich eine äusserst hohe Dichte erzeugen. So sind die Angebote auf den verschiedenen Geschossen von vielen Standorten sichtbar. Diese Überblickbarkeit zieht den Besucher von einem Ort zum nächsten und bindet die verschiedenen Läden in seiner Erfahrung zu einer Einheit zusammen. Schwellen, die in der Stadt die wichtige Unterscheidung zwischen den frei zugänglichen und den privaten Räumen anzeigen, werden hier nach Möglichkeit abgeschwächt. Tatsächlich sorgt eine erfolgreiche Innenarchitektur für möglichst schwellenfreie Übergänge von der Erschliessung zur Verkaufsfläche. Unterstützt wird dieses räumliche und visuelle Ineinandergreifen durch das angenehme, einheitliche Klima. Es herrscht eine durchgängige Aufenthaltsqualität. Hier ermöglicht eine künstliche Beleuchtung auch in den untersten Geschossen und den hintersten Ecken eine optimale, effektvolle Lichtsituation. Abgelegene Räume können mit diesen Mitteln attraktiv gehalten werden.

Die Art, wie Dichte im Einkaufszentrum erzeugt wird, ist eine direkte Folge der Verkaufsfunktion. Der gnadenlose Zwang zur Wirtschaftlichkeit setzt diese flächendeckende Qualität voraus. Dem städtischen Aussenraum ist weder diese Dichte noch die räumliche Konstellation vergönnt. Dazu sind die Funktionen zu verschieden und nicht fokussiert genug. Weder rechtlich noch finanziell bestehen Möglichkeiten die Stadt ähnlich zu gestalten.

Die These, die Mall lasse sich von der Stadt ableiten, lässt sich demnach nicht stützen. Die beiden Konzepte sind grundlegend wesensverschieden und berühren sich lediglich in der Verwendung der gleichen geometrischen Optimierungsstrategie. Doch selbst diese wirkt sich in den beiden Feldern jeweils anders aus. In der Stadt führt sie zu einer allgemeinen Erschliessungsfläche für eine Vielfalt von Funktionen. In der Mall dient sie einer durchkalkulierten, dreidimensionalen Vermarktung. (Weiter bei…)