Stadt ohne Prickeln

Stadt ohne Prickeln

Die Stadt gilt uns als Ort des Zusammenkommens. Als komprimierter lebendiger Kern der Gesellschaft. Alles was eine Gesellschaft in Bewegung hält scheint aus ihr hervorzugehen. Bildung, Innovation, Diskurs, Meinungsbildung, Produktion. Die Stadt hat aber auch eine andere Seite, die man in diesem Zusammenhang gerne vergisst.

(… vorher) Das was wir mit der Stadt in Verbindung bringen und das was wir tagtäglich als Stadt erleben, muss nicht immer übereinstimmen. Die Kaffees, die Büros und die Geschäfte, die Restaurants, die Kinos und die Clubs, sie alle stehen für die Stadt als pulsierendes Gebilde: mitreissend, elektrisierend aber zuweilen auch überfordernd und beängstigend. Dem gegenüber steht die Erfahrung, die wir machen, wenn wir in unseren Bürostühlen vor unseren Computern oder vor unseren Breitbildschirmen auf unseren Sofas sitzen. Das Leben in der Stadt hat auch seine gewöhnlichen Seiten. Das sichtbarste Zeichen für diese Normalität stellt die Stadt in Form ihrer Wohnquartiere offen zur Schau. Dort stehen die dreigeschossigen Zweispänner mit flach geneigtem Steildach aus den Sechzigern, die versetzt aneinandergebauten Würfel aus den Siebzigern oder deren Ersatzbauten aus späteren Jahrzehnten. Allesamt umgeben von einem gepflegten Rasen, kaum geeignet um sich darauf aufzuhalten, aber günstig im Unterhalt und gut um von der Terrasse gegenüber Abstand zu gewinnen.

Soweit das Auge reicht, nur Wohnbauten. Ab und zu kommt man an einer Schulanlage oder einem Gemeindezentrum vorbei. Hier lässt uns nichts an das Wort „pulsierend“ denken: Auf den Strassen gilt Tempo 30. Ausser spielender Kinder ist nichts zu hören. Die Menschen gehen morgens zur Arbeit und kommen abends zurück. Der städtische Aussenraum ist der Gestalt gewordene Arbeitsweg. Selbstverständlich kennt man ein, zwei Nachbarn. Sicher verbindet der Spielplatz die Eltern. Aber es bleibt meistens bei wenigen Kontakten. Der elektrisierende Austausch von Meinungen, die Entwicklung von neuen Ideen, der Schmelztiegel der Gesellschaft findet, wenn überhaupt, nicht hier draussen statt.

Die Ereignislosigkeit ist eine Tatsache. Die Frage, die sich dabei stellt ist, wie sie sich auf das Stadtbild in den Köpfen der Bewohner auswirkt? Die Stadt wird von ihren Bewohnern unterschiedlich gesehen, weil sie sich, aus der Sicht des Einzelnen, aus seinem spezifischen Lebensumfeld zusammensetzt. Wer also in einem ruhigen durchgrünten Mehrfamilienhaus-Quartier wohnt, in einem anderen Stadtteil Mitglied eines Turnvereins ist, an einem dritten Platz arbeitet und im Zentrum einkauft, wird diese Orte im Hinterkopf haben, wenn er Stadt sagt. Die Stadt ist gewissermassen das, was man dazu macht. Die Stadt ist das, was man sich aneignet. Würde man die Stadt nicht auf diese Art (be)greifen, wäre sie schlicht zu gross. Der Blick aufs sie bliebe stets diffus und ungenau. Die Stadt als Ganzes ist für ihre Bewohner insofern relevant, als dass sie die Grundlage bietet, für die Kreation des persönlichen Lebensentwurfes.

Wenn nun also die Stadt ein persönliches Konstrukt aus einzelnen Orten ist, dann bedeutet dies, dass die Wohngebiete auf das Stadtbild ihrer Bewohner einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausüben. Gemessen an der Zeit, in der sich die Mehrheit der Städter in ihrem Wohnumfeld aufhalten, muss die Stadt als überwiegend langweiliger Ort begriffen werden. Dies entspricht aber kaum unserem Gefühl des Urbanen. Aber liegt dies nicht daran, dass das Ereignislose kaum im Gedächtnis hängen bleibt? Das Quartier übernimmt oft die Rolle des Rückzugsgebiets vom anstrengenden Alltag. Es dient als Gegenpol zu den lebendigen Lebensbereichen. Der Rückzug in die eigenen vier Wände ist ein starkes Grundbedürfnis.

Damit leben die Menschen in einer Stadt, die aus der kleinsten persönlichen Zelle, einigen Attraktionen und einer grossen grauen Masse besteht, zu der sie kaum eine Beziehung haben. Die Stadt ist damit grösstenteils still und introvertiert. Als Passant wird man von ihr nicht angeregt, als Bewohner erzeugt man sie selbst. Austausch und pulsierendes Leben ist aus keiner dieser beiden Perspektiven zu erkennen. (Weiter bei …)