Stadt ohne Austausch

Stadt ohne Austausch

Die Stadt ist ein Gemenge aus Einzelinteressen. Die räumliche Abgrenzung der Menschen untereinander ist eine Folge davon. Das haltlose Leben einer globalisierten Gesellschaft ändert daran nichts – sowohl im guten wie im schlechten Sinne.

(… vorher) Richard Sennett schreibt 2003, im Zusammenhang mit der Auswirkung der Globalisierung auf die Stadt, über die Schwierigkeit einer unmittelbaren, dauerhaften Bindung zur Stadt. Er spricht von der Auswechselbarkeit der Arbeitsstelle und letztlich auch über die Auswechselbarkeit der Städte. In gewissen Kreisen sei nur noch die Dichte an gehobenen Restaurants und sonstiger luxuriöser Infrastrukturen entscheidend, um sich an einem Ort nieder zu lassen. Dies, so Sennett, hinge mit der Art des Arbeitens zusammen. Man sei in diesen Kreisen nicht mehr langfristig gebunden, sondern nur noch auf einzelne Projekte fokussiert. Man bewege sich nicht in langjährigen Teams, sondern sei höchsten für ein paar Monate in einer Gruppe, bevor man zur nächsten wechsle. Loyalität zu einer Firma könne sich so nicht entwickeln. Beständigkeit und Sesshaftigkeit seien keine erstrebenswerten Ziele mehr. Dies wirke sich schliesslich auch auf die Beziehung zur Nachbarschaft aus, die letztlich gänzlich verschwinde. Obwohl diese Beziehungslosigkeit erstmals nur die globalisierte Oberschicht betrifft, vermutet Sennett, dass die Prinzipien bald schon in der breiten Masse Niederschlag finden werden. Die Gesellschaft hätte dann keine Wurzeln mehr und keine natürliche Verbindung untereinander.

Seiner düsteren Prognose setzt Sennett die Mittel des Städtebaus entgegen. In der Stadt soll ein Miteinander verschiedener Aktivitäten in demselben Raum für Besserung sorgen. Ähnlich wie es früher ein Miteinander von Familienleben und Arbeitsleben gab, soll die Stadt über die Nutzungen zu einer Einheit gebracht werden.

Mutmassungen darüber, ob die Verbindung von Wohnraum und Arbeitsraum tatsächlich zu einer engeren Bindung mit der Stadt geführt hat, können wir getrost den Historiker überlassen. Klar ist, dass zu jeder Zeit eine Selektion der Orte stattgefunden haben muss. Die Gasse an der man wohnte, war schon immer bedeutender als ein entferntes Quartier. Die Stadt hat sich also noch nie als Ganzes, Untrennbares ausgedrückt, sondern immer als eine Aneinandersetzung von Bereichen. Die Produktionsweisen der Industrialisierung verstärkten diese Trennung in extremer Weise. Aber nicht nur in dem die Fabrikhallen ausserhalb der Wohnquartiere gebaut wurden. Die reine Masse der immer stärker anwachsenden Städte trug ebenfalls dazu bei. Die Grösse der Städte unterstützte deren Unübersichtlichkeit und folglich die natürliche Aufteilung in kleine „handliche“ Bereiche.

Mit der heutigen Dienstleistungsgesellschaft ist ein weiterer Faktor hinzugekommen. Durch die Transportmittel Auto und Zug sind die natürlichen Barrieren der Distanz in sich zusammengebrochen. Die Unterteilung der Stadt geschieht nun nicht mehr nur auf der räumlichen Ebene mit der Bildung eines Umkreises. Mit der Möglichkeit innerhalb kürzester Zeit jeden beliebigen Ort erreichen zu können, streuen sich die Aufenthaltsorte eines Bürgers über das ganze Stadtgebiet und darüber hinaus. Das damit die Auseinandersetzung mit fremden Milieus nicht zunimmt, erscheint zunächst paradox. Auf den zweiten Blick besticht aber das Argument, dass durch eine verbesserte Wahlmöglichkeit auch eine verstärkte Selektion möglich wird. Man muss sich mit dem Nachbarn aus einer anderen Schicht nicht mehr abgeben, weil man die Freunde am anderen Ende der Stadt besuchen kann. Die modernen Verkehrsmittel fördern also die Abgrenzung zu Menschen mit anderen Lebensentwürfen und die Verbindung zu ausgewählten Kreisen. Loyalität lässt sich nicht mehr an Orten festmachen, sondern nur noch an den Menschen selbst. Die Stadt wird zum Netzwerk der persönlichen Kontakte.

Sennetts Warnfinger gegen den drohenden Verlust an Verwurzelung ist daher unbegründet. Nicht die Verbindung zur Gemeinschaft (und schliesslich zum Stadtentwurf) schwindet, sondern der Druck zur Durchmischung sinkt. Die Stadt als Ganzes zerbricht in mehrere Gemeinschaften. Dagegen ist die Problematik, welche durch die globalisierte Elite hervorgerufen wird unbedeutend. Die Veränderung durch die einfach zugänglichen Verkehrsmittel wirkt sich auf die Stadt viel entscheidender aus.

Das „Miteinander verschiedener Aktivitäten in demselben Raum“ als Ausweg Sennetts, ist vor diesem Hintergrund kaum zu erreichen. Die Städter agieren noch weniger als früher in einem Raum. Die Stadt funktionierte im Innersten schon immer als abstrakte Idee und nicht auf der räumlichen Ebene. In der heutigen Zeit offenbart sich dieser Umstand in aller Deutlichkeit. Die Gemeinschaften bewegen sich zwar durch denselben physischen Raum, doch dieser ist auf vielfältige Weise unterteilt. Raum im Sinne des Stadtgebietes ist nichts Einheitliches. Damit ist auch der Wunsch Sennetts, die Individuen innerhalb des Raumes neu zu verketten, kaum realistisch. Auch Heutzutage halten sich die Menschen durchaus im selben Raumbereiche auf. Dennoch sind sie durch ihre selektive Sicht voneinander getrennt. Eine Nutzung, die sie zusammenführt, gibt es vielleicht noch einmal im Jahr. Aber auch für das Stadtfest können sich längst nicht alle erwärmen. Gerade die kulturellen Aktivitäten sind ja die Unterscheidungsmerkmale der Gemeinschaften. Hier, von oben herab, einen Konsens zu finden scheint unrealistisch.
Die Stadt ist, und das ist die entscheidende Erkenntnis, nicht die Folge von einer Ansammlung von Häusern. Die Stadt entsteht durch die Nutzungsweise und die Interpretation dieser Bauwerke und deren Zwischenräume. Nutzung und Sichtweisen sind aber leider nur schwerlich zu lenken, geschweige denn zu planen.