Zutritt

Zutritt

Zutritt ist eine simple Angelegenheit. Nicht so die Frage nach ihrem Zusammenhang mit der Architektur.

(… vorher) Was hat der Begriff Zutritt mit Architektur zu tun? Wie wirkt sich der Aspekt des Zutritts oder dessen Verweigerung auf den Entwurf von Raum aus? Vorab hierzu ein paar grundsätzliche Überlegungen:
Die Eigenschaft des Zutritts beschreibt den Grad der Zugänglichkeit eines Bereiches. Unabhängig davon, ob der Bereich eine räumliche Seite hat oder nicht, der Begriff lässt sich wie folgt definieren: Der Zutritt zu einem Bereich wird dann gewährt, wenn sowohl geistige als auch physischen Hürden das selbstverständliche Voranschreiten nicht behindern.
Der mit Mauern umschlossene Innenraum weist beispielsweise keine Möglichkeiten auf, in ihn hinein oder aus ihm hinaus zu gelangen. Dazu ist erst der Einbau einer Öffnung notwendig. Das klingt simpel und das ist es auch. Allerdings existieren nicht nur physische Hürden, wie im Falle der Mauern. Hindernisse können auch gesellschaftliche Regeln und Normen bilden. Ein Stadtplatz beispielsweise ist an sich für Jedermann frei zugänglich. Breite Strassen und schmale Gassen führen zu Hauf zu solchen Räumen. Sobald man aber mehr tun möchte als dort stehen – sobald man einer bestimmten Tätigkeit nachgehen möchte – kann es sein, dass der Zutritt dennoch nicht möglich ist. Ein Strassenmusikant kann nicht ohne weiteres aufspielen, ein Ramschhändler nicht einfach so seinen Stand aufbauen. Mindestens in einem regulierten Staat wie der Schweiz braucht es dazu eine Bewilligung. Der Besitzer des Bereiches hat Regeln aufgestellt, die es zu befolgen gilt, andernfalls muss man damit rechnen mehr oder weniger freundlich vom Platz gewiesen zu werden. Ähnliches gilt auch für die Toilettenanlage im Restaurant. Zwar stehen uns beide Türen offen, aber nur jene, die unserem Geschlecht zugedacht ist, sollten wir auch durchschreiten. Solche regulativen Hürden sind überall anzutreffen. Sie betreffen die Rolle die ein Mensch einnehmen möchte und nicht den Menschen an sich. Dennoch beeinflussen sie den Menschen stark. In einer Gesellschaft ist er auf sie angewiesen, kann ihnen also kaum entgehen. Erst die Rollen verhelfen ihm im Gefüge der Gesellschaft zur Bedeutung. Als Person werden wir nur dann wahrgenommen, wenn wir eine Rolle übernehmen. Wenn nun aber die Handlungen verboten sind, die den Strassenmusikanten zu dem werden lassen was er ist – wenn er sein Musizieren nicht praktizieren darf – dann spielt es keine Rolle, womit er seinen Lebensunterhalt verdient. Dann ist er Teil einer gesichtslosen Menschenmenge. Regulative Hürden wirken demnach auf der Ebene der Sinnhaftigkeit. Wozu soll der Musiker auf dem Platz sein, wenn er nicht spielen darf und wozu sollten wir jemanden als Musiker ansehen, wenn er nicht musiziert?
Wenn wir uns also fragen, inwieweit die Thematik des Zutritts etwas mit der Architektur zu tun hat, dann ergeben sich gleich mehrere Problemstellungen:

– Wie stehen physische und regulative Zutrittsregelungen zueinander?
– Wie ist die Auswirkung der jeweiligen Zutrittsregelung auf die Form?
– Hat Architektur eine Auswirkung auf die regulative Zutrittsbeschränkung?
– Hat Architektur eine Auswirkung auf die physische Zutrittsbeschränkung?

Die letzte Frage scheint sich einfach beantworten zu lassen. Die Architektur mit ihren Wänden, Decken und Böden ist dazu geboren den physischen Zutritt zu regeln. Damit dürfte auch klar sein, dass die Handhabung des Zutritts für die Architektur wesentlich ist. Aber ist das wirklich so? Definiert sich Architektur nicht weitaus stärker über die Bildung von räumlichen Konstellationen, als über den Aufbau von Grenzen? Liegt der wahre Kern der Architektur tatsächlich in der Schutzfunktion oder doch in der Bildung von gestalteten Bereichen?

Die Ausbildung einer räumlichen Umgebung ist durchaus ohne die physische Regelung des Zutrittes zu haben. Ein Dach auf Stützen hat ebenso den Anspruch architektonisch zu sein, wie ein Haus mit festen Wänden. Und doch, lässt sich das eine nur betreten, wenn die Türe nicht verschlossen ist, dass andere aber lässt sich frei durchschreiten, wie es einem gefällt. Das Dach zieht dabei seine Wirkung nicht aus der Begrenzung des Zutritts, sondern aus der Erzeugung von Raum. Der Mensch bemerkt den Unterschied zwischen dem offenen Himmel und der niedrigen Überdeckung. Er bemerkt den Unterschied zwischen der direkten Sonneneinstrahlung und dem kühlen Schatten. Die Akustik verändert sich vom Freien zum Überdachten und vielleicht verändern sich sogar die Gerüche. Bei all diesen Wechseln, die mit dem Schritt unters Dach vor sich gehen, wird der physische Zutritt dennoch in keiner Weise behindert.

Architektur kann also mit seinen Elementen den Zutritt begrenzen, sie hört aber nicht auf Architektur zu sein, wenn sie dies nicht tut. Die Regelung des Zutritts ist für die Architektur also nicht existenziell. Das heisst natürlich nicht, dass sie keine entscheidende Rolle einnehmen kann. Ob ein Raumbereich nur mit dem Mittel der Decken und Böden gestaltet wird, oder ob dazu auch Wände verwendet werden macht einen grossen Unterschied. Die Begrenzung des Raumes wird viel deutlicher. Die Grenzelemente unterstreichen gewissermassen die Räumlichkeit. Die Einsicht und der Ausblick werden versperrt oder auf die Fensteröffnungen reduziert und es entstehen Oberflächen, die den Raum mitgestalten. Aber auch hier ist die Lage nicht so eindeutig, wie sie zunächst erscheint. Auch Vorhänge ermöglichen es Räume mit vertikalen Flächen zu begrenzen, ohne den Zutritt so stark zu beschränken, wie das bei Mauern der Fall ist. Auch sie lassen eine Gestaltung zu und können dennoch leicht beiseitegeschoben werden um den Zutritt zu erleichtern. Gerade umgekehrt verhält es sich mit Absperrbändern und Staketengeländern und Stacheldraht. Mit ihrer kleinen Oberfläche sind sie zwar kaum geeignet den Raum auszugestalten, dennoch verhindern sie den Zutritt auf effektive Weise. Wie also hängen Architektur und Zutritt wirklich zusammen. Die Lösung auf diese Frage liegt in der regulativen Form der Zutrittsbeschränkung. Eine Regel benötigt keine räumliche Form um wirksam zu sein. Wenn sich die beteiligten Personen an diese Regel halten, funktioniert sie ohne irgendein Hilfsmittel. Es ist nicht einmal ein Zeichen notwendig, das die Regel anzeigt. Solch eine Regel muss selbstverständlich gelernt werden. Zum Beispiel muss man wissen, dass in den meisten europäischen Ländern der Rechtsverkehr gilt, dass es also gefährlich ist auf der andern Spur zu fahren ohne die Richtung zu ändern. In diesem Falle, und ganz allgemein gesehen, sind regulative Zutrittsbeschränkungen von einer räumlichen Untermalung gänzlich unabhängig. Eine solche Untermalung mag zwar die Anwendung erleichtern, aber der Wegfall der räumlichen Grenze, ändert nichts an der regulativen Grenze. Nur weil die Leitplanken der Fahrspurtrennung abmontiert worden ist, wird der Autofahrer dennoch nicht auf die Gegenfahrbahn wechseln. Auch die Wände von Bauwerken folgen dieser Logik. Als Elemente der Trennung können sie auch mit einer auf den Boden aufgemalten Linie ersetzt werden. Ergänzt mit einem Schriftzug: „Linie nicht überschreiten“, und einer folgsamen Bevölkerung reicht dies zur Trennung aus. Selbst die Linie könnte eingespart werden, wenn man sich die Mühe machen würde, die Beschreibung etwas ausführlicher zu gestalten. Im Zusammenhang mit dem Zutritt, also mit Ausnahme der Funktion des Witterungsschutzes und der statischen Aufgaben, ist die Wand ebenfalls ein Ergebnis regulativer Ursachen.
Für das Verständnis der physischen Ebene des Zutrittes hilft uns diese Erkenntnis insofern, dass wir sie nun in Ableitung von der regulativen Ebene verstehen können. Somit klärt sich auch die Frage nach der Auswirkung des Zutrittes auf die Form. Zutritt ist – ausgehend von der regulativen Ebene – eine der Ursachen, welche die Form des Gebauten mitbestimmt. Doch gibt es auch den Umkehrschluss? Kann sich architektonische Form auch auf den Zutritt auswirken? Wo immer formale Strukturen vorhanden sind, wirken sich diese auf die Formulierung der regulativen Hürden aus. Denn obschon diese formalen Strukturen kaum die Absichten der Regulierung stützen, die Menschen werden durch sie beeinflusst. Der Nutzer wird im Normalfall kaum erkennen, welche Elemente eines Bauwerkes gewollt sind und welche äusseren Sachzwängen unterliegen. Er wird die Grenzen die er vorfindet als dem Projekt zugehörig verstehen. Allgemein kann festgehalten werden, dass nicht nur das Geplante ein Projekt bestimmt, sondern auch das Unkontrollierte. Dieser Grundsatz gilt auch für die Regelung des Zutritts. Gerade weil das Architekturelement als Untermalung regulativer Absichten verstanden wird, muss auch hinter dem unkontrollierten physischen Hindernis eine regulative Absicht vermutet werden. Ob dies den Tatsachen entspricht oder nicht, ist für den Nutzer letztendlich zweitrangig. Er muss sich wohl oder übel mit dem Vorhandenen auseinandersetzen. Der Zutritt ist gegeben oder nicht, ganz gleich ob er darin einen Sinn erkennen kann.
Es besteht also eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Form, deren Möglichkeit physische Hürden aufzubauen und der regulativen Zutrittsbeschränkung. Sie besteht, muss aber nicht eingelöst werden. Form bringt nicht zwingend Hürden hervor und Hürden finden nicht zwingend auf der physischen Ebene statt. (Weiter bei …)