Nebeneinander

Nebeneinander

Das Nebeneinander von Personen und Personengruppen ist eine der bestimmendsten Verhaltensweisen im städtischen Aussenraum. Sie mag nicht auffällig sein, dennoch findet sie sowohl zeitlich als auch mengenmässig am häufigsten statt. Wer behauptet, der städtische Aussenraum bringe die Menschen zusammen, liegt zu 90% falsch.

 

(…vorher) Menschen benützen den Aussenraum als Verbindungsweg zu ihrer Arbeit. Sie warten dort auf Bekannte um später in einem Restaurant zu verschwinden. Sie lesen die Zeitung auf der Parkbank. Sie telefonieren und geniessen die Sonne. Selten beginnen fremde Menschen eine Diskussion.

Beobachten wir einen normalen Tag lang einen städtischen Platz oder eine Gasse, fällt uns auf, wie sich die Menschen aneinander vorbei bewegen: Die Pendler hetzen auf ihren Zug, Jugendliche plaudern und kichern in kleinen Gruppen, Mütter fahren ihre Kinderwagen spazieren, die einen schlendern den Schaufenstern nach, die anderen schreiten zielbewusst voran. Es sind vorwiegend Einzelpersonen und kleine Gruppen auszumachen, die sich unabhängig voneinander bewegen. Es ist keine übergeordnete Absicht feststellbar. Die Menschen halten sich im städtischen Aussenraum auf, weil er zentral liegt, weil dort die Freizeitangebote locken oder die Knotenpunkte des öffentlichen Verkehrs sich dort befinden. Selten ist die Kontaktsuche zu fremden Personen der Anreiz sich im städtischen Aussenraum aufzuhalten. Man braucht neue Schuhe und geht daher in die Einkaufsstrasse. Man trifft sich mit einem Freund zum Plaudern und setzt sich dazu in ein Kaffee. Man sucht eine packende Unterhaltung und geht daher ins Kino. Die Kontakte zu fremden Menschen beschränken sich überwiegend auf das Beratungsgespräch und die Zahlungsprozedur im Laden oder auf das Bestellen im Restaurant.

An den anderen Personen geht man lediglich vorbei. Selten treffen sich die Blicke. Noch seltener sprechen sich die Menschen an – wieso auch? Man kann nicht jeden kennen. Und zum Kennenlernen gibt es bessere Orte als den städtischen Aussenraum. So sind diese fremden Menschen um einen herum Teil des Hintergrundes. Sie sind ein Teil der Umgebung. Man nimmt sie wahr, sie sind aber nicht entscheidend, für das was man tut. Es ist folglich eine Hürde des Interesses, welche die Menschen trennt. Nur sehr wenige bringen den Willen auf, sich mit allem und jedem zu beschäftigen – zumal einem dabei die Zeit fehlt sich auf etwas wirklich zu konzentrieren. Diese Trennung zwischen sich fremden Menschen bleibt selbst dann bestehen, wenn der Beobachter von seinen übergeordneten Absichten abschweift. Der Zeitungsleser kann durch ein kreischendes Kind aus seiner Lektüre gerissen werden. Die Freunde im Kaffee lassen ihre Blicke auf die Strasse schweifen, um das Treiben dort zu verfolgen.

Obschon sich die Individuen nun mit den Anderen befassen, ist es nicht so, dass sie sich wirklich begegnen. Es ist ein Beobachten aus der Ferne. Die Anderen sind, obschon sie nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, noch immer Teil des Hintergrundes. Es verhält sich etwa so, wie mit dem Betrachten eines Bildes. Neben dem Hauptsujet lassen sich auch ganz viele Details betrachten. Man kann sich mit ihnen befassen und dennoch ist klar, welches die Hauptsache ist.

Im städtischen Aussenraum, sowie an den meisten anderen Orten ist die Hauptsache das, worauf man sich konzentriert. Es ist das, was einen antreibt. Da die Menschen aber naturgemäss unterschiedliche Interessen haben, bewegen sie sich im städtischen Aussenraum nicht zusammen. Man befindet sich am selben Ort, hat aber nichts miteinander zu tun. Im städtischen Aussenraum herrscht das Nebeneinander. (Weiter bei…)