Kein Raum für Öffentlichkeit

Kein Raum für Öffentlichkeit

Öffentlichkeit zählt in Planerkreisen wie selbstverständlich zu den Dingen, die man mit seinen Werken stark beeinflussen kann. Man glaubt, wenn auch nicht direkt an die Schaffung von Öffentlichkeit, so doch an deren Beeinflussbarkeit durch die räumliche Form. Tatsächlich hat aber das, was sich unter Öffentlichkeit sinnvollerweise verstehen lässt, nur am Rande mit dem Raum und seiner architektonischen Ausformulierung zu tun.

(… vorher) Wenn im Zusammenhang mit Architektur der Begriff der Öffentlichkeit Erwähnung findet, steht meist die Wirkung von Bauten auf den Menschen im Vordergrund. Abmessung, Proportion, Oberflächenstrukturierung, Materialisierung, Rhythmisierung, usw. machen beispielsweise einen städtischen Platz zu einem Ort der Begegnung. Das gebaute Umfeld regt zum Austausch an, zur Kundgebung, ja zur Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Oder aber es tut dies gerade nicht. Kahle Strassenschluchten, befahren von lauten, stinkenden Autos, die den Menschen nicht zur Äusserung kommen lassen. Öffentlichkeit ist dabei das diffuse Gemenge, zusammengesetzt aus den Begriffen Begegnung, Austausch und Informationsübermittlung, bis hin zur banalen Tatsache der Einsehbarkeit, oder dem geometrischen Fassungsvermögen eines Platzes. Nur wenig davon hat tatsächlich mit Öffentlichkeit zu tun.
Im Kern der Öffentlichkeit steht ein Vorgang, der mit Raum kaum etwas zu schaffen hat. Es ist dies der relevante Austausch von geistigen Positionen innerhalb einer Gruppe oder Gesellschaft. Die Schlüsselwörter in diesem Satz sind: Gruppe, Relevanz und geistig. Von einer Gruppe können wir dann sprechen, wenn sich mehrere Individuen zusammenschliessen und sich als Einheit verstehen. Damit sie sich als Einheit verstehen ist der Austausch untereinander entscheidend. Von Relevanz kann gesprochen werden, wenn dieser Austausch für die gesamte Gruppe eine Bedeutung hat. Dies trifft beispielsweise dann zu, wenn er die Zusammengehörigkeit der Gruppe stärkt, oder den Grund betrifft, weswegen sich die Gruppe zusammengeschlossen hat. Geistig bedeutet, dass dieser Austausch von Positionen immer in den Köpfen der Teilnehmer vor sich geht. Für einen Diskurs braucht es Individuen die denken. Ausserhalb der Personen befindet sich nur die Übermittlungsinfrastruktur. Der Kern der Auseinandersetzung, die Informationsaufnahme, die Interpretation und die Argumentation läuft im Kopf ab. Raum ist zwar eine physikalische Grundbedingung für all diese Prozesse, für die Beschreibung des gesellschaftlichen Diskurses aber nicht von Bedeutung. Gruppenbildung und damit auch Gesellschaft findet in erster Linie durch Sprache statt. Diese basiert auf Zeichen, also auf abstrakten Symbolen.
Der Umstand, dass Inhalte seit dem Internetboom immer häufiger nur noch als elektronische Datensätze vorhanden sind, zeigt in aller Deutlichkeit, wie gross und wie absolut der Einfluss dieser abstrakten Welt ist. Diese existiert jedoch nicht erst seit es digitale Technologien gibt. Schon vorher wurden Inhalte mit abstrakten Symbolen festgehalten und übermittelt. Gesellschaften waren auch in der Vergangenheit nicht das Resultat von Raum, sondern von Austausch. Ihre Bedeutung lag nicht in der Ausdehnung ihrer Landesgrenzen, sondern in der Summe ihrer Ideen, Prinzipien und Organisationsstrukturen.
Auch die Gruppen und Gesellschaften von heute werden nicht durch Formen, nicht durch Bewegungszonen und Spielräume erzeugt, sondern durch die gemeinsamen Ziele, Interessen – eben durch abstrakte Werte. So sind, um auf den Anfang zurück zu kommen, weder der geräumige Stadtplatz, noch die überfüllte Verkehrsader Räume der Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist das, was sich im Prozess des Diskurses bildet und genau so abstrakt ist wie dieser. Öffentlichkeit braucht keinen Raum in dem sie stattfinden kann. Folgerichtig gibt es auch keine öffentlichen Räume. (Weiter bei…)