Stadtvorgarten, Vom Zwang zur Gemeinschaft

Stadtvorgarten, Vom Zwang zur Gemeinschaft

Für jemanden, der auf seine Privatsphäre grossen Wert legt, muss es sich wie eine schreckliche Anmassung anhören – die Bewohner mittels zu kleiner Balkons in den einsichtigen Aussenraum zu drängen. Damit hat er nicht unrecht, oder?

(…vorher) So betrachtet können zu kleinen Balkons schnell zu einem Politikum über die Freiheit und den Gemeinschaftssinn ausarten. Es stellt sich die Frage inwiefern eine Wohnung die Gewohnheiten eines Nutzers vorschreiben darf. Meist wird diese Problematik damit umgangen, dass für eine Wohnung, welche dem Gemeinschaftsgefühl in grossem Masse den Vorzug gibt, auch nur die Menschen anspricht, welche sich in einer sozialen Umgebung wohl fühlen. In einem städtischen Umfeld, wo es notorisch zu wenige Wohnungen gibt und die Wahlfreiheit damit wegfällt, ist das aber kein gutes Argument. Bedenkenswert ist dabei auch, dass sich Haltungen und Ansprüche der Bewohner im Lebensverlauf verändern können: Den nahen Spielplatz, den man als junge Eltern schätzt, kann im Alter zum ungeliebten Störfaktor werden.


Diese Umstände können zu zwei extremen Haltungen gegenüber einem gemeinsamen, nachbarlichen Leben führen: komplette Abschottung oder intensiver Gemeinschaftsaktivismus. Im ersten Fall stellt man den Wohnungen möglichst umschlossene Loggien zur Seite, die eine totale Entkoppelung des Privaten Lebens von der Aussenwelt ermöglichen. Soziale Kontakte hat man mit seinen Freunden und Verwandten, aber nicht mit seiner Umgebung. Im zweiten Fall fördert man gemeinsame nachbarschaftliche Aktivitäten bewusst mit Gestaltungsgruppen, gemeinsamem Liegenschaftsunterhalt, Siedlungsfesten, Siedlungs-Apps, Gemeinschaftswerkstätten, Siedlungsbibliotheken und dem eigenen Café. Das soziale Netz der Nachbarschaft wird hier nicht nur gelenkt und gefördert, sondern mittels einer Art Frondienst aktiv eingefordert. Dies mag Menschen mit einem grossen Rückzugsbedürfnis stark belasten. Es besteht jedoch die Chance auch diesen Menschen die Vorzüge eines gemeinschaftlichen Lebens näher zu bringen – beispielsweise, wenn sie der drohenden Vereinsamung entgegenwirken oder nur schon das Gefühl einer feindseligen, anonymen Aussenwelt abbauen.


Welches der richtige Weg ist, muss jeder als Privatmensch aber auch als Bürger selbst entscheiden. Die beiden Wohnverständnisse können in beliebiger Weise abgestuft und kombiniert werden. Ein solcher Kompromiss ist es eine Vielzahl von Möglichkeiten zu schaffen und zu hoffen, dass sie die Bewohner ergreifen. Dann hat eine Wohnung beispielsweise einen privaten und einen zum gemeinschaftlichen Aussenraum ausgerichteten Balkon. Es gibt Spielplätze und Gemeinschaftsbastelräume und man kann sich nach Lust und Laune an einem Gartenprojekt beteiligen. Der Nachteil der Freiwilligkeit ist jedoch, dass all diese Aktivitäten nur mit der Initiative der Menschen selbst ins Rollen kommen. Eine Gemeinschaft gibt es dann nur, solange sich die Bewohner bewusst engagieren. Dem gegenüber stellt sich bei einer sanften Lenkung der Kontakte mittels Architektur und Aussenraumgestaltung zunächst keine solch aktive Gemeinschaft ein. Aber es können sich lockere Nachbarschaftsbeziehungen entwickeln, in dem man sich immer mal wiedersieht und ein paar Worte wechselt. Diese unterschwelligen Begegnungen schaffen ein Gefühl von Eingebundenheit ohne Verpflichtungen, sind aber auch das Fundament für engere Kontakte und Initiativen, wenn der Anlass dazu vorhanden ist. In diesem Sinn geht es bei einer solchen architektonischen Lenkung nicht in erster Linie um die Einschränkung des Einzelnen, sondern um das Pflanzen eines gemeinschaftlichen Keimes, den es von den Bewohnern zu kultivieren gilt. (Weiter bei…)