Kernstadt-Platz, Altstadt
Die Gestaltung des Aussenraum in der Kernstadt ist keine einfache Angelegenheit. Um der Thematik näher zu kommen, haben wir in den voran gegangenen Texten einige neuere Beispiele besprochen. Doch eine wichtige Typologie ist dabei noch zu kurz gekommen.
(…vorher) Einer der wichtigsten Kernstadttypologien ist naturgemäss die mittelalterliche Stadtgasse. Zwar haben wir diese auch schon erwähnt, es steckt aber noch wesentlich mehr in der Konzeption, als bisher zur Sprache gekommen ist – und damit mehr, das für heutige Neuentwicklungen weiterverfolgt werden kann.
Als Beispiele für solche Mittelalterlichen Stadtgassen sollen uns die Marktgasse in Winterthur aber auch die Rathausgasse in Lenzburg dienen, da sie in der Nähe der beschriebenen moderneren Aussenräume liegen. Die Marktgasse in Winterthur haben wir schon kurz beschrieben. Sie ist ein lang gezogener Strassenraum mit einer sanften Ausbauchung um einen zentralen Brunnen. Ähnlich geformt, aber in kürzerer Ausführung präsentiert sich die Rathausgasse in Lenzburg. Das Auffälligste Merkmal des Raumes ist die besondere Formgebung der Ausbauchung zur Mitte des Strassenzuges. Weitere Attribute der städtebaulichen Typologie sind die ähnliche Traufhöhe, die gleichen Dachformen, die ähnliche Ausbildung der Sockelgeschosse, eine relativ schmale Fassadenlänge mit jeweils unterschiedlichen Putzfarben und meist verwandte Fensterformate.
Im Zusammenspiel schaffen diese gestalterischen Regeln eine einprägsame Gesamtform. Durch die geringe Breite und den geradlinigen Verlauf wird der Gassenraum als klar gerichtet lesbar. Es gibt einen Anfang und einen Endpunkt, welche beide früher noch zusätzlich durch die Stadttore hervorgehoben waren. Diese Hauptbewegung wird dann mit einer organisch geformten Ausbuchtung angereichert. Der Strassenraum dehnt sich um den zentralen Brunnen aus und sorgt so für etwas mehr Licht und Luft. Mit dieser Ausdehnung wird kontinuierlich eine platzartige Fläche in den Strassenverlauf eingewoben, ohne die Gasse selbst zu unterbrechen.
Neben der funktionalen Komponente der Zentrumsbildung im Gassenraum hat die Ausbauchung aber auch noch eine weitere Aufgabe. Mehr als in einer parallel verlaufenden Strasse, wird der Zuschnitt der Gasse als bewusste Form gelesen. Die Häuser reihen sich zwar, wie an einer gewöhnlichen Strasse auf. Sie sind dabei aber nicht unmotiviert aufgefädelt, sondern bilden zusammen eine Form. Man kann diesen Formalismus als das Abbild des mittelalterlichen Gesellschaftsbildes lesen, welches das Individuum sehr stark als Teil eines grösseren Ganzen verstanden hat. Die einzelnen Individuen kommen zusammen um sich zu einer übergeordneten Einheit zusammenfügen, ohne sich dabei selbst aufzulösen.
Innerhalb dieser starken Hauptform lassen sich nun allerhand kleine Abweichungen unterbringen, ohne dass das Ganze zerfällt. Es sind die leichten Unterschiede in den Sockelhöhen, die verschiedenen Fenstergewände, die Ladenbeschriftungen aber auch die Farbgebung usw. Die vielen kleinen Details machen die Altstadt reich an Erfahrbarem.
Aus dieser Reichhaltigkeit zieht die mittelalterliche Stadt ihre hohe erzählerische Qualität. Selbst ohne Möblierungsgegenständen im Aussenraum reichen die erlebnisdichten Fassaden aus um den schmalen Raum lebendig zu gestalten. Hinzu kommt dann noch die Bestuhlung der Aussenwirtschaften, die Auslagen der Kleiderläden und Werbeständer. Hier treffen wir auf die wohl dichteste Raumgestalt aller Kernstadttypologien. (Weiter bei…)