Unreinheit

Unreinheit

Neben der Caramolage und im weiteren Sinne der «belle laideur» lässt sich aus der direkten Bauweise eine weitere Entwurfsstrategie ableiten: Die leichte Abweichung, die Unreinheit, die Bastelei.

(…vorher) Wer den Bahnhof Wiedikon in Zürich kennt, der hat sie vielleicht auch schon gesehen, die rohe Betontragkonstruktion der Tankstelle an der Seebahnstrasse. Nicht dass daran besonders viel Auffälliges wäre. Sie ist eine zweckmässige, mit Sprayereien geschmückte Serie von Stützen, auf welcher massive, auskragende Balken liegen. Auf diesen Balken wiederum ruht die Bodenplatte der Tankstelle. Die Stützen waren notwendig, weil die Geleise des Bahnhofs einige Meter in den Boden versenkt sind und zum Strassenniveau hin eine steile Böschung besteht. Anstatt eine Senkrechte Stützwand zu bauen, waren Stützen wohl günstiger. Ein klarer Fall von direkter Bauweise: Schnörkellos, roh, unästhetisch und ungepflegt.

Im Unterschied zum Beispiel in Volketswil gibt es hier keine Kollision von Bauteilen. Es ist kaum ein spannender Wiederstreit zwischen Hässlichkeit und skurriler Anziehung zu entdecken. Dafür lässt sich das Lehrreiche im Detail finden – ein unscheinbarer, aber lebendiger Bruch.

Die Stützenreihe zeigt sich auf den ersten Blick regelmässig rhythmisiert. Wer aber etwas genauer hinschaut, sieht die kleine Unreinheit in dieser Ordnung. Der äusserste Teil der Plattform liegt, wohl auf Grund einer Erweiterungsetappe, einige Zentimeter tiefer. Am Übergang dieser beiden Niveaus stehen zwei Stützen dicht nebeneinander. Jede bildet den Abschluss ihres Plattenfeldes. Auf Grund der unterschiedlichen Plattenhöhe zeigen auch deren jeweilige Trägerbalken eine vertikale Verschiebung zueinander. So ergibt sich in der regelmässigen Abfolge eine Ungereimtheit, ein Holperer.

Von aussen betrachtet, bleibt unklar, warum es den Projektverantwortlichen nicht möglich war die zweite Etappe auf dem gleichen Niveau zu erstellen. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Lösung den einfachsten Weg darstellt – eine ästhetische Absicht ist zumindest sehr unwahrscheinlich. Der Effekt jedoch, der dabei entstanden ist, kann durchaus aus der Sicht der Ästhetik beurteilt werden:

Es handelt sich um einen Bruch im Detail. Solche kleinen Unstimmigkeiten ermögliche es eine starke Ordnung aufrecht zu erhalten, aber deren Strenge und Steifigkeit zu brechen. (Weiter bei…)