Animierte Atmosphären und Genius Loci
Grossformatige Monitore haben das Potenzial Stimmungen zu verbreiten, ja sogar Atmosphären zu bilden. Die Lichtinstallation der “Harpa” in Reykjavik ist ein Beispiel hierfür. Doch auch die Architektur beansprucht diese Eigenschaft für Ihre Werke.
(… vorher) Die Lichtkomposition der isländischen Konzerthausfassade ist offensichtlich darauf ausgelegt eine Atmosphäre zu vermitteln. Die abstrakten Farbkompositionen sollen an das Nordlicht erinnern. Wer sich darauf einlässt mag dies erkennen oder assoziiert das animierte Licht mit einer anderen Erinnerung. Hier von einer atmosphärischen Installation zu sprechen ist sicher nicht falsch. Man kann sich gut vorstellen, dass grosse animierte Lichtflächen in jeder Stadt fähig sind Stimmungen zu transportieren und auf die Betrachter zu übertragen.
Gerade mit dem Konzept der Oikoborg, welche solche Monitore auf die gesamte Oberfläche unserer Umgebung ausdehnen will, könnten Monitore die Hauptträger von Atmosphäre werden. Damit erobern solche Anzeigesysteme aber ein Feld, dass bis anhin die Architektur für sich vorbehalten hatte. Christian Norberg-Schulz hat diesen Anspruch in seinem Buch Genius Loci festgeschrieben. Er beschreibt dort den “Geist” der an einem Ort herrscht. Es geht ihm um den Charakter der Umgebung oder schlicht um die Atmosphäre. Architektur steuert einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Identität eines Ortes bei.
Um dies zu illustrieren, zitiert Norberg-Schulz beispielsweise die Argumentation H.P.L. Oranges zur Charakteristik von Rom. Dessen Eigenheit entstehe durch das Fehlen der Gehwege und Eingangstreppen, zusammen mit dessen Farben, Gerüchen und dessen pulsierenden, vielgestaltigen Leben:
“Die römische Strasse trennt die Häuser nicht, sondern vereinigt sie, und vermittelt in einem das Gefühl, innen zu sein, während man aussen ist. Die Strasse ist ein “städtisches Innen”. (1)
Durch das Bauen, so Norberg Schulz, verleihe der Mensch den Sinngehalten, wie hier in Rom, konkrete Anwesenheit. Die Bauten machten seine Lebensform sichtbar. Dadurch werde die Alltagswelt des Menschen zu einem sinnvollen Heim, wo er wohnen könne. (2)
Es stellt sich nun die Frage, wie sich ein durch Monitore begrenzter und bespielter Ort auf die Erzeugung von Sinngehalten und die Schaffung eines Heimes auswirkt. Klar ist, dass es erhebliche Unterschiede in der Wirkungsweise gibt: Die Bildschirme bringen Bewegung, während die Architektur still steht; die Bildschirme bringen Veränderung, während die Architektur Beständig ist; die Bildschirme sind Inhaltlich frei, während die Architektur sich nicht von ihren technischen und funktionalen Gegebenheiten lösen kann. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Gemeinsamkeiten: Beide können Botschaften vermitteln, beide können Atmosphären vermitteln und beiden können eine spezifische Ästhetik oder Stilistik aufweisen. Es geht also nicht so sehr darum, ob mit diesen neuen Technologien Sinngehalte transportiert werden könne, sondern welche.
Das beschriebene “Innengefühl” der römischen Strasse kann sicher auch mit grafischen und lichttechnischen Mitteln umgesetzt werden. Die Gestaltungskraft der Bühnenbilder ist hier das beste Beispiel. Der Vorteil von Monitoren liegt darin, dass sie eine solche Wirkung dann erzeugen können, wenn sie gefragt ist. Allerdings ist diese Anpassungsfähigkeit auch ihr grösster Nachteil. Architektur bietet Beständigkeit und dadurch auch die Möglichkeit der Orientierung. Sie bietet ein greifbares Gegenüber, welches sich dem Sonnenverlauf und der Witterung entsprechend nuanciert. Details und Feinheiten, Schmutz und Patina, Gerüche und Geräusche sind der Reichtum den sie entfaltet. Die Gefahr ist gross, dass dieser Realitätsgrad bei Monitorprojektionen verloren geht. Wesentlicher noch, ist aber die Dauerhaftigkeit welchen den bewegten Anzeigen nicht innewohnt. Die Dauerhaftigkeit ist die Vorraussetzung dafür, dass man sich in einem Raum “einnisten” kann. Ein Stadtraum oder ein Innenraum verhält sich in dieser Hinsicht wie der Lieblingssessel. Er ist erst dann bequem, wenn sich das Polster an den Körper angepasst hat. Wenn man sich so tief in ihn eingefläzt hat, dass man gar nicht mehr von ihm aufstehen möchte. In einen Raum kann man sich ähnlich eingewöhnen. Dazu darf er aber nicht verschwinden, wenn man daran ist, ihn sich anzueignen.
Der Raum den die Monitore aufspannen ist seiner Natur entsprechend flüchtig. So schön er auf den Menschen wirken mag, nach einer Weile hat sich sein Spiel derart verändert, dass von einem neuen Raum gesprochen werden muss. Die Show ist zu Ende und eine neue Vorstellung hat begonnen. Der Raum der Monitore lebt vom Augenblick, der Raum der Architektur von der Dauer. Der Raum der Monitore ist eine Theatervorstellung, der Raum der Architektur ist ein tatsächlicher Gegenstand. (Weiter bei…)
(1) Christian Norberg-Schulz, Genius Loci, S 142. (2) Christian Norberg-Schulz, Genius Loci, S 170 Mitte