Bildlose Architektur

Bildlose Architektur

Im letzten Beitrag haben wir die Vermutung angestellt, dass Bildinhalte und Architektur sich gegenseitig ausschliessen. Nun sind aber Bauten zu allen Zeiten mit Bildern versehen worden. Damit stellt sich die Frage neu: Können Bilder ein Teil der Architektur sein?

(… vorher) Schon die Höhlen der ersten Menschen zeigen Malereien an den Wänden. Die Griechen haben ihre Tempel mit Bildabfolgen verziert und auch im Mittelalter konnten Bilder Bestandteil wichtiger Gebäude sein. Selbst heute sehen wir an so manchen Gebäuden Gemälde in allen Formen und Stilen. Zu behaupten, Bilder seien kein Teil der Architektur erscheint also relativ gewagt. Dennoch gibt es gute Gründe das eine nicht mit dem anderen zu vermengen. Schliesslich geht es nicht darum, dass Bilder nicht auf Bauten appliziert werden sollen, sondern darum, ob diese für sich stehen, oder ein Teil der architektonischen Gestaltung gelten.

Zur Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Bild und Architektur zu beschreiben: Grundsätzlich vermitteln beide Gestaltungsformen Informationen. Ganz egal wie abstrakt, reduziert und verklausuliert Bilder und Architekturen gestaltet sind, sie sind Träger von Inhalten. Der Unterschied besteht jedoch in den Themen, welche in den beiden Disziplinen transportiert werden. Während der Mitteilsamkeit von Bildern buchstäblich keine Grenzen gesetzt sind, bezieht sich der Informationsgehalt von Architektur auf sich selbst. Eine Abfolge von Bildern kann die Heldengeschichte eines griechischen Halbgottes darstellen oder die Abenteuer von Tim und Struppi. Architektur hingegen ist in seiner erzählerischen Vielfalt sehr viel eingeschränkter: Sie berichtet von ihrer Konstruktion, von Ordnungsprinzipien, von Raumstimmung oder von ihrer materiellen Gegenständlichkeit. Ganz allgemein gefasst erzählt Architektur von der Theorie, nach welcher der Autor seinen Entwurf aufgebaut hat. Architektur ist jener Aspekt des Planens, welcher den Bauwerken eine Bedeutung zuschreibt. Es ist jener Teil, welche die einfache Zweckerfüllung zum kulturellen Handeln erhebt.

In der Funktionsweise von Architektur ist also schon die Einschränkung verankert, über was sie eine Aussage machen kann. Denn überschreitet sie Ihre Grenzen, wird sie zu etwas anderem. Versucht Architektur von der griechischen Mythologie zu erzählen, kann sich nicht mehr von Ihrer eigenen Systematik sprechen. Sie wird zu einem stabilen, überdimensionalen Bilderbuch und verliert dabei ihr eigenes Wesen.

Streng genommen spricht Architektur nicht einmal über die Nutzung, die sie beherbergt. Sie sagt nicht: „ich bin der Sitz eines Königs.“ Sie sagt: „Ich bin prunkvoll und überdimensioniert.“ Das sich dies mit den Repräsentationsvorstellungen eines autokratischen Herrschers deckt, ist dabei nicht relevant, denn die gestalterische Bedeutung bleibt auch dann bestehen, wenn sich das politische System längst verändert hat.

Bilder sind demnach kein Teil der Architektur, wenn sie zur Systematik der Architektur nichts beitragen. Sie mögen zwar in die Bauten integriert werden, aber sie stehen stets für sich selbst. (Weiter bei…)