Über Geschmack streiten

Über Geschmack streiten

Im voran gegangen Text haben wir das Spannungsfeld zwischen Traditionalisten und Modernisten angeschnitten. Der Konflikt weckt Erinnerungen an den architektonisch, ästhetischen Stellungskrieg des letzten Jahrhunderts.

(…vorher) Für sich genommen sind beide Haltungen interessant. Dennoch bringt sowohl die Fokussierung auf den technischen Fortschritt im Geiste der klassischen Moderne, als auch die Reformation gründerzeitlicher Formen eine dicke Schicht Staub in die Entwürfe. Reformatorische Bemühungen befassen sich oft mit alten architektonischen Bilder und Raumstimmungen und der technisch geprägte Formwille frönt der längst als zu einseitig enttarnten Fortschrittsgläubigkeit. Beide Architekturströmungen sind eng mit der Art ihrer Herstellung und ihrem weltanschaulichen Hintergrund verknüpft. Es kann daher nicht abgestritten werden, das Versuche diese Ideen zu reaktivieren, zu Resultaten zu führen drohen, die mit den alten Stilen verbunden werden. Dabei schwingt das Risiko mit, dass man in denselben Sackgassen endet, in welchen sich auch die Vorbilder stecken blieben.

Was aber ist durch den Rückgriff in eine alte Epoche zu gewinnen, wenn das Risiko so hoch ist, das immer gleiche durchleben zu müssen? Gibt es nicht genügend Ansatzpunkte aus unserer heutigen Situation heraus, welche zu einer architektonischen Gestalt inspirieren können? Die Vermutung liegt nahe, das die Triebfeder für die Anlehnung an vergangenen Positionen die persönliche Zuneigung zu den jeweiligen Epochen ist. Es ist also der Geschmack, der uns in die Vergangenheit führt.

Das ist nur allzu gut verständlich. Denn einzelne Objekte beider Seiten entfalten tatsächlich eine anstrebenswerte Qualität. Wer schon mal in einer gründerzeitlichen Wohnung wohnen durfte, wird die hohen Räume und die knarrenden Parkettböden zu schätzen wissen. Wer, auf der andere Seite, schon einmal die technische Direktheit und räumliche Klarheit von modernen Bauten gesehen hat, wird auch diese als ein hohes Gut ansehen.

Die Frage lautet als nicht, ob es Gründe dafür gibt, alte Stile zu schätzen. Die Frage lautet, vielmehr, wie diese Vorbilder unsere heutige Architektur beeinflussen sollen. Sowohl Imhof wie auch Graser vertreten die Weiterentwicklung der Ursprungsstile. Dem gegenüber steht eine Haltung, welche sich weniger auf die Stile als Ganzes, sondern mehr auf deren Inspirationskraft bezieht. Hier steht nicht die ganze Strömung mit ihren Positiven und Negativen Implikationen im Zentrum, sondern einzelne architektonisch-gestalterische Werkzeuge welche in den jeweiligen Epochen entwickelt wurden. (Weiter bei…)