Teil 4, Nicht-Erscheinung und Rand
Transparenz haben wir, im Unterschied zur Transluzenz, als frei von diffusem Lichtdurchlass definiert. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist die Transparenz frei von jeglicher optischer Eigenschaft.
(…vorher) Ob man den Durchblick hat, ist weniger vom sauber geputzten Fenster abhängig, sondern mehr von der Fähigkeit das Verunklärende auszublenden und die bruchstückhaften Informationen zu einem sinnvollen Ganzen zusammen zu setzten. In der Realität sind wir uns gewohnt, dass sich nichts ganz klar darstellt. Wir müssen interpretieren und meist erledigt das unser Unterbewusstsein.
Auf die Materialeigenschaft bezogen ist die Durchsicht aber keine Frage der Interpretationsfähigkeit des Betrachters sondern eine eindeutig definierbare Eigenschaft. Denn was tatsächlich zum Durchblick beiträgt sind die klaren unversperrten Stellen. Je mehr es von diesen Stellen gibt, desto weniger Aufwand bedeutet es, das Verunklärende auszublenden.
Transparenz oder Durchsicht kann damit also ganz getrennt von den anderen optischen Eigenschaften betrachtet werden, obschon Sie nur in den wenigsten Fällen in reiner Form vorkommt. Meist tritt sie gepaart mit einem oder mehreren Lichtwiderständen auf: Dazu gehört die Streuung, die Absorbation und die Spiegelung.
Im Gegensatz zu diesen Eigenschaften, welche sich in der einen oder anderen Form alle dem Licht in den Weg stellt, ist die Transparenz eine “Nicht-Eigenschaft”. Denn mit dem Auge alleine kann sie nicht wahrgenommen werden. Nur in Kombination mit dem Tastsinn ist die Transparenz eines Gegenstandes oder einer Oberfläche feststellbar. Ein Stoff ist demnach transparent, wenn er nicht sichtbar ist, aber dennoch andere materielle Eigenschaften aufweist.
Aber sind transparente Oberflächen tatsächlich nur mit Hilfe des Tastsinnes zu erkennen? Man ist versucht einzuwenden, dass doch auch völlig transparente Bauteile in einem Gebäude visuell erkannt werden können. Auch wenn die absolute Durchsicht der Fläche einen visuellen Kontakt verhindere, so sind doch zumindest die Ränder sichtbarer Hinweis auf die Existenz einer solchen Ebene.
Die Antwort darauf führt uns zu einem weiteren, wesentlichen Unterschied zwischen Transparenz und Transluzenz: Rahmen oder die Kanten eines Glases, welche auf seine Materialanwesenheit hindeuten, müssen von der transparenten Ebene unterschieden werden. Denn wäre die transparente Fläche unendlich gross, so müssten wir gegen sie stossen, um ihre Existenz zu erfahren. Der Rahmen aber, der die transparente Fläche in der Realität umschliesst, ist ein Zusatz, der uns die Transparenz erahnen lässt, diese aber noch nicht visuell bestätigt. So könnten wir zum Beispiel Rahmen ohne Füllung neben gefüllte stellen, und wäre die Transparenz wirklich hundertprozentig vorhanden, wir würden keinen Unterschied sehen. Nach dem ersten schmerzhaften Zusammenstoss mit einer transparenten Fläche würden wir uns auch einem leeren Rahmen mit der gebotenen Vorsicht nähern. Dagegen spielt der Rahmen für die Erfahrbarkeit der Transluzenz keine Rolle. Sie wird aufgrund der Streuung immer als gegenständlich gesehen.
Transluzenz also ist ein Phänomen, eine optische Erscheinung, wo hingegen die Transparenz eben optisch nicht wahrnehmbar ist. (Weiter bei…)