Teil 4, Etymologie der Durchsicht

Teil 4, Etymologie der Durchsicht

Wie wir gesehen haben, ist der Diskurs zur Transparenz und Transluzenz ein einziges Hin und Her zwischen den verschiedenen Auslegungen der Wortbedeutung. Dabei bewegt alle Autoren die Spannung zwischen Verhüllung und Übersicht, zwischen Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit. Die Suche nach einer allgemeingültigen Antwort auf die Frage, was denn nun mit den Begriffen zu bezeichnen sei, hat bis heute kein zufrieden stellendes Ergebnis gezeitigt. Was lässt sich also sinnvoller weise als Transparenz und Transluzenz bezeichnet? Beginnen wir dazu mit der allgemeinen Wortbedeutung:

(…vorher) Die Verwandtschaft zwischen Transparenz und Transluzenz scheint auf der Hand zu liegen. Beide Begriffe gehen von optischen Phänomenen aus und werden des Öfteren auch synonym zu einander verwendet. Im Grimmwörterbuch zum Beispiel, taucht sowohl unter „durchsichtig“ ([Lfg. 2,7], adj. und adv. Was man durchsehen kann, was licht durchläszt, wie durchscheinend) als auch unter „durchscheinend“ ([Lfg. 2,7], adj. und adv. durchsichtig. Durchscheinends durchscheinigs durchsichtigs transparens Voc. theut. 1482 f 4b.) die fast deckungsgleiche Erklärung auf (1). Diese Gleichartigkeit ist so offenkundig wie plausibel, denn für das Sehen benötigen wir Licht und wo dieses hindurch fällt, lässt sich immer etwas vom Dahinterliegenden wahrnehmen, und sei es nur ein flüchtig vorbeihuschender Schatten. So erstaunt es auch nicht, dass im Brockhaus „transparent“ mit durchsichtig, durchscheinend, und Licht durchlassend zugleich beschrieben wird. Transluzenz als eigenständigen Begriff, sucht man dort den auch vergeblich. Bald könnte man auf die Idee kommen, dass es die Unterteilung von Transparenz und Transluzenz gar nicht gibt. Einzig das französische „translucide“ (durchscheinend, lichtdurchlässig) bewahrt uns vor diesem Schluss.

Die Tatsache, dass die Begriffe so nahe bei einander liegen, mag der Grund sein, weshalb so oft und nicht immer zum Schaden des Gesagten, über ihre Unterschiede hinweggeschaut worden ist. Bisweilen aber versperrt diese Ungenauigkeit, wie ich es für die Architektur nachzuweisen versuche, den Blick auf tiefere Erkenntnisse. Denn wo aus einem einfachen Begriff aus dem Feld der Optik, der Name für ein räumliches Ordnungssystem, ja für eine ganze Raumauffassung geworden ist, wirken sich solche Nuancen gravierend aus. (Weiter bei…)

(1) Grimm Jakob, Grimm Wilhelm, Deutsches Wörterbuch, elektronische Ausgabe der  Erstbearbeitung, Verlag Zweitausendeins, 2004