Teil 3, Rileys Architekturströmung ohne Einheit
Der Schleier ist der Schlüsselbegriff in Rileys Position zur Transparenz und Transluzenz. Doch leider ist seine Beschreibung zur Funktionsweise eines Schleiers nicht ganz so eindeutig. Ein Annäherungsversuch:
(…vorher) Riley legt in seinem Aufsatz, im Rahmen des Ausstellungskataloges zur Ausstellung Light Konstruktion (1), eine schwindelerregende Argumentationskette zum Thema Schleier vor. Als erstes vergleicht er OMA’s transluzente Bibliotheksfassade mit der buchstäblichen Transparenz und der Transparenz im übertragenen Sinn. Dabei stellt er, mit der Analyse Vidlers, die Wichtigkeit der Oberflächenwirkung für das Bibliotheksgebäude fest. Diese Erkenntnis führt ihn zu Rosalind Krauss’ phänomenologische Lesart minimalistischer Skulpturen, wonach nicht mehr die Form, sondern die Oberfläche der Bedeutungsträger eines Kunstwerkes darstelle. In Jean Nouvel’s Museum für die Cartier-Stiftung identifiziert er sogleich die Entsprechung in der Architektur. Hier erzeuge die Spiegelungen der Glasschichten eine verschwommene und flüchtige Räumlichkeit, wobei ihm die wahre Charakteristik durch das Verschwimmen und nicht das Räumliche gegeben ist.
An die Überlegungen zur Spiegelung, knüpft Riley eine Spiegelung im übertragenen Sinne. Dazu zieht er HdM’s Museumsbau für die Sammlung Goetz bei. Die Birkenfurnierplatten der Fassade reflektieren, seiner Ansicht nach, die Birken in der Umgebung. Hier interessiert ihn also nicht mehr der optische Effekt von Durchsichtigkeit und Spiegelung, sondern der Umstand, dass die Materialisierung eines Gebäudes sich mit der Umgebung auseinander setzen kann. Von dieser Position aus leitet er schliesslich zum allgemeinen Interesse der Architekten über, welche sich vermehrt für die Fassadenmaterialisierung interessierten und immer weniger für die Gebäudeform. Dies untermauert er auch mit dem Boom der Fassadenmonitoren und deren flüchtiger Erscheinungen.
Wie aber hängen alle diese, in lockeren Assoziationen aufgeführten Aussagen von Riley zusammen? Er selbst sieht in allen seinen Beispielen sowohl eine Überwindung der Giedionschen Moderne, als auch der Roweschen Kritik daran. Er identifiziert bei allen Beispielen das Interesse an der Mehrdeutigkeit und verbindet diese mit dem Bild des Schleiers.
Bei genauerer Betrachtung fällt seine Argumentationskette für eine neue Architekturströmung aber Stück für Stück auseinander: Das Ausstrahlen von Projektionen, die Durchsichtigkeit und die Lichtdurchlässigkeit von Materialien, die Spiegelung von Oberflächen und die Bezugnahme von Fassaden auf ihre Umgebung mittels Materialisierung, sind alles sehr unterschiedliche, architektonische Gestaltungsmittel. Sie sind sowohl technisch, als auch hinsichtlich ihrer Wirkung nicht miteinander zu vergleichen.
Gerade im Bezug auf die Mehrdeutigkeit wirken sich die einzelnen Methoden gänzlich verschieden aus:
Die Spiegelung im übertragenen Sinn kann kaum als mehrdeutig bezeichnet werden, da sie lediglich eine Referenz auf die Umgebung macht. Es ist nicht ersichtlich in welcher anderen Weise die Holzfassade noch wirken soll. Dagegen lassen sich hintereinander liegende spiegelnde Glasflächen bei idealen Lichtverhältnissen tatsächlich verschieden lesen. Durchsicht und Spiegelung wirken zusammen und treten mit veränderten Lichteverhältnissen unterschiedlich in Erscheinung. Allerdings ist uns die Erscheinung von Glasflächen gut bekannt. Sie schaffen es in ihrer Alltäglichkeit kaum noch die philosophische Überhöhung zu erzeugen, welche der Architekt anstrebt. Die Wirkung der Transluzenz geht wieder mehr in Richtung einer philosophischen Interpretation. Von Mehrdeutigkeit kann nur dann gesprochen werden, wenn die Oberfläche genau im richtigen Verhältnis verbirgt und offen legt. Nur dann kann für den Betrachter die Frage nach dem Inneren aufkommen. Aber auch in diesem speziell austarierten Verhältnis muss der Betrachter auf diese Lesart sensibilisiert sein. Bildschirm- oder Projektionsflächen haben letztlich gar nichts Mehrdeutiges. Mit solchen Monitoren können zwar durchaus mehrdeutige Inhalte dargestellt werden. Die Hardware selbst ist aber ein simpler technischer Apparat und ob die Projektion als Bestandteil der Architektur zu verstehen ist muss zuerst nachgewiesen werden.
Damit lässt sich feststellen, dass die aufgeführten Gestaltungsmittel in ihrer Unterschiedlichkeit nicht unter dem Motto des Schleiers zusammengefasst werden können und wohl auch keine einheitliche Gestaltungsströmung bilden. (Weiter bei…)
(1) Riley Terence, Light Construction Ausstellungskatalog MoMa, erschienen in: The Light Construction Reader, Gannon Todd (hrsg.), New York: Monacelli Press, 2002