Teil 2, Addition und Fluktuation

Teil 2, Addition und Fluktuation

Auch die Transparenz basiert auf Bewegung. Daher liegt die Frage nahe, ob hier dieselben Mechanismen am Werke sind wie beim Sehen in Bewegung. Gibt es auch beim Phänomen der Transparenz ein Gesamteindruck und eine Beziehung unter den Teilen?

(…vorher) Wie Kepes schon beschreibt, erzeugt die Transparenz der konstruktiven Bildkomposition eine Beziehung zwischen verschieden Ebenen, indem am selben Ort mehr als ein Bedeutungsgehalt vorhanden ist und eine vage Zuordnung nur im unaufhörlichen Hin und Her dieser Bedeutungen gefunden werden kann. Transparenz ist demnach ein spekulativer Akt, ein Abwägen ohne klare Antwort. Die Interpretation von Transparenz ist in stetiger Bewegung.

Dieser Effekt besteht natürlich nur im Rahmen der künstlerischen Auslegung von Transparenz. Dort besteht die Beziehung auf formalen Grundlagen, während sie in der realen Lebenswelt ihrem Kontext sinnhaft ein- und zugeordnet wird. Streng genommen kann bei der optischen Eigenschaften der materialabhängigen Transparenz nur in den wenigsten Fällen von einer mehrdeutigen Beziehung gesprochen werden, nämlich da, wo eine solche bewusst konzipiert wurde. Ansonsten stehen die Dinge, obschon man das Hintere durch das Vordere hindurch sieht, von einander getrennt und werden im Normalfall, im Sinne einer schwachen Beziehung, auch so erkannt.

Es bedarf also einer aktiven Gestaltung, um einen Zusammenhang zwischen Objekten herzustellen. In den konstruktiven Bildkompositionen, wie sie Kepes beschreibt, erzeugen gemeinsame Konturen mehrdeutig lesbare Formen. Um diese Wirkung zu entfalten müssen die Teile kombiniert auftreten. Erst aus ihrem Zusammenwirken entsteht die Gesamtheit des Werkes.

Diese Kompositionstechnik unterscheidet sich fundamental von Moholy-Nagy’s Vision in Motion. Es gibt zwar auch hier einen Anfangspunkt an dem die Wahrnehmung ansetzt und einen Weg der Wahrnehmung, aber die Bewegung welche von einer konstruktivistischen Bildkomposition hervorgerufen wird, ist nicht jene des Betrachters. Man braucht nicht um das Bild herum zu gehen um es in all seinen Facetten begreifen zu können. Die Komposition selbst ruft ein Hin und Her der Interpretationen hervor. Es ist diese Ungewissheit des Wahrnehmbaren, welche eine Art der Bewegung erzeugt. Hier ist also von einer geistigen “Bewegung” die Rede und nicht von einer körperlichen. So werden den die Teile auch nicht durch die Aneinanderreihung von Szenenbildern zueinander in Bezug gesetzt, sondern durch den Versuch sie zuzuordnen.

Die konstruktivistische Transparenz lässt sich damit nicht in die Systematik der Vision in Motion eingliedern. Denn obwohl für beide Begriffe der Aspekt der Bewegung grundlegend ist, lassen sich sowohl der Ursprung wie auch die Wirkung dieser beiden Bewegungsarten nicht in Einklang bringen. (Weiter bei…)