Port Grimaud, Moral und Planung
Port Grimaud wirft zwei wesentliche Fragen auf: Macht die Planung einer sogenannt gewachsenen Struktur Sinn und ist eine solche Planung aus „moralischer“ Sicht statthaft?
(… vorher) Zunächst einmal ist die Form des Wegnetzes und der Gebäude von Port Grimaud eine Form wie jede andere auch. Sie folgt durchgängig ihren eigenen geometrischen Prinzipien und kann daher als in sich schlüssig angesehen werden. Die Prinzipien mögen zwar nicht so einfach erklärbar sein wie ein regelmässiges Strassenraster à la Barcelona, das bedeutet aber nicht, dass es sie nicht gibt. Im kleinen Städtchen an der Côte d’Azure geht es nicht um einfache Geometrien, sondern um die Gestaltung von Wegsequenzen, Perspektivenwechseln und der Proportionierung der Aussenräume. All das liesse sich in einen geometrischen Beschrieb übersetzen und dem einfachen Raster als gleichwertiges Ordnungsprinzip gegenüberstellen.
Den Aufwand dieses geometrischen Nachweises können wir uns allerdings ersparen. Denn die Rechtfertigung der Siedlungsform wird der Stadt nicht durch die ihr zugrunde liegende abstrakte Geometrie verliehen, sondern durch die Funktionalität und Wirkung, welche diese Geometrie ermöglicht. Darin unterscheiden sich die verschiedenen geometrischen Ansätze nicht voneinander. Das Strassenraster von Barcelona wurde nicht wegen der Schönheit seiner Geometrie gewählt. Im Vordergrund standen auch hier die Funktion und die Wirkung wie die Gewährleistung der Erschliessung, die Wohnhygiene (durch die Strassenbreite) und die Verkörperung der Gleichheit aller Menschen (1).
Ebenso zielgerichtet ist auch die Geometrie von Port Grimaud. Sie strebt lediglich andere Wirkungsweisen an: Ihre Hauptmaximen sind nicht die Gleichheit, die Hygiene und die verkehrstechnisch optimale Erschliessung. Sie strebt nach Atmosphäre, Idylle, Einkehr und Luxus.
Die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen können aus dieser Sicht wie folgt beantwortet werden: Eine geometrisch komplexe Stadtstruktur, wie sie uns mit Port Grimaud begegnet, ist nicht durch den Aspekt des Gewachsenen zu rechtfertigen, sondern auf Grund der komplexen Geometrie, mit welcher ein klares Ziel verfolgt wird. Die Verwendung des Werkzeuges der komplexen Geometrie ist nicht mehr oder weniger moralisch vertretbar, als die Verwendung eines einfachen Rasters. (Weiter bei…)
(1) „Er [Der Städteplaner Ildefons Cerdà] vertrat das idealistische Konzept von der Gleichheit der Menschen. Die bestehenden sozialen Ungleichheiten wollte er durch seine Planung mildern und abbauen. Dabei sollte das quadratische Raster eine gleichmäßige Bebauung ermöglichen und eine hierarchische verhindern.“
in: Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona – Exkursionsprotokoll – vorgelegt bei Prof. Dr. Paul Gans und Christina West, M.A. Universität Mannheim, Geographisches Institut, im Rahmen der Großen Exkursion: Städte in Spanien, 17. März – 3. April 2003, http://zgb.bw.lo-net2.de/site/BarcelonaExkursion.pdf