Port Grimaud, geplante Wachstumsform
Nur weil etwas wie gewachsen aussieht muss es noch lange nicht durch Wachstum entstanden sein. Diese wertvolle Lektion wird uns von einer kleinen Siedlung am französischen Mittelmeer erteilt.
(… vorher) Als unbedarfter Tourist wird man den kleinen Ort für ein altes Hafenstädtchen halten. Die malerische Stadtmauer mit den Torbögen und die Wasserkanäle mit den venezianischen Brücken wirken, als stammten sie aus einer anderen Zeit. Es gibt einen Dorfplatz und viele kleine, in leichten Bögen zusammengefügte Reihenhäuschen. Die Siedlung lädt zum Bummeln ein und besticht durch spannende Raumabfolgen. Man findet die gleichen formalen Qualitäten wie wir sie von so mancher mittelalterlicher Stadt kennen.
Allerdings erfährt das Bild der intakten Altstadt dann und wann leichte Irritationen. Die Bauten sind zwar durchwegs unterschiedlich, dennoch erscheinen sie merkwürdigerweise sehr ähnlich. Nirgends gibt es ein Gebäude aus einer anderen Epoche. Die Torbögen sind zwar massiv gemauert, aber die Deckenuntersichten machen den Anschein, als wären sie betoniert. Und schliesslich wird einem die Offensichtlichkeit bewusst, mit der die Siedlung einem auf die Wahrheit hinweist. Die Kanäle zwischen den Bauten sind so breit, dass zu beiden Seiten bequem eine Bootsanlegestelle und ein kleiner Aussenbereich Platz finden. Auch wenn früher ein Kanalsystem aus irgendwelchen Gründen Sinn gemacht hätte – man denke nur an Venedig – es ist kaum anzunehmen, dass dieses auf die Freizeitbedürfnisse des Touristen des 20 Jahrhunderts ausgelegt worden wäre.
Und richtig, Port Grimaud ist eine Retortenstadt. Der kleine Ort mit Blick auf das bekannte Saint-Tropez ist eine Feriensiedlung aus den Sechzigerjahren. Der Architekt François Spoerry hat die Anlage von Grund auf geplant. Dazu hat er sich vieler Vorbilder aus der Region bedient. Er hat die typische Bauweise und viele gestalterische Details übernommen und für seinen Entwurf nutzbar gemacht.
Der Erfolg der Siedlung gibt ihm Recht. Nicht nur, dass die Anlage zu grossen Teilen ausgebucht erscheint – was von der Anzahl der privaten Segelboote abgeleitet werden kann – das Städtchen ist auch ein beliebtes Ziel für Touristen. Man bewegt sich gerne durch die malerischen Gassen und träumt davon, sich hier selbst niederlassen zu können.
Auf der anderen Seite haftet der synthetischen Herstellung einer solchen Idylle der Vorwurf einer disneyfizierten Umgebung an. Das Ganze sei nicht echt. Es täusche eine Wirklichkeit vor um Profit zu machen. Die historischen Anleihen seien nur Kulisse mit dem Ziel einer optimalen Vermarktung.
Dieser Vorwurf kann nicht entkräftet werden. Die Anlage wurde zweifelsohne als Renditeobjekt erstellt und vermarktet. Allerdings zielt die Kritik am Markt an der Realität vorbei, weil sie den Handel als etwas Negatives betrachtet. Viele mittelalterliche Stadtgründungen waren ebenfalls rein wirtschaftlich motiviert. Die regionalen Herrscher erhofften sich zusätzliche Steuereinnahmen durch die neuen Marktplätze. Bis heute ist es aber noch keinem Kritiker in den Sinn gekommen, die mittelalterliche Stadt auf Grund ihres Wirtschaftsmodells zu verteufeln. Fakt ist, eine Stadt braucht eine wirtschaftliche Basis, damit sie langfristig überleben kann.
Spannender ist die Debatte um die Form selbst. Welche Vorteile hat eine gewachsene Struktur (auch wenn Sie geplant wurde)? Was wäre die Alternative zur Verschachtelung und den schiefen Winkeln gewesen? Mit diesen Fragen werden wir uns weiter beschäftigen. (Weiter bei…)