Barragán, der Fall Zürich Altstetten
Wie lässt sich die bunte Farbe in der Schweiz begründen? Wie fühlt sie sich hier an? Was lässt sich von der Farbkraft Barragáns in das europäische Binnenland herüberretten? Um diese Fragen beantworten zu können, braucht es die Überprüfung im Feld. Nur an realen Beispielen kann das tatsächliche Potenzial studiert werden. Ein solcher Untersuchungsgegenstand bietet sich uns in der Siedlung Froheim in Zürich Altstetten an.
(…vorher) Die aus sieben Punktbauten und einem zur Strasse hin ausgerichteten Längsriegel bestehende Überbauung, zeigt eine interessante Fassadengestaltung. Die jeweils umlaufenden Brüstungsbänder, in welche auch die auskragenden Balkone eingebunden sind, sind in den unterschiedlichsten Farben gestrichen: Von Violett über Rot, Orange, Gelb und bis zu Grün.
Der Farbkünstler Jörg Niederberger hat mit den Architekten Müller Sigrist und EM2N (1) eine Gestaltung geschaffen, die in Sachen Farbintensität Barragáns Arbeit in nichts nach steht. Allerdings gibt es auch offensichtliche Differenzen zum mexikanischen Vergleichsbeispiel. Die unterschiedlichen Farben berühren sich nur im Ausnahmefall und ihre Flächenanteile zur Gesamtfassade sind eher klein. Deshalb entsteht eine gänzlich andere Wirkung. Wo bei Barragáns die Komposition grosser Farbflächen im Zentrum seines Interesses steht, lässt sich die Gestaltungsabsicht in Zürich Altstetten als Muster lesen. Weder in ihrer Grösse, noch in ihrer Anordnung im Raum, sind diese Farbflächen im Stande Spannung im Sinne Barragáns zu erzeugen. Nicht das die Farbflächen untereinander nicht interessant komponiert wären. Die Arbeit des Künstlers darf durchaus als gelungen bezeichnet werden. Allerdings kann man dem Werk einen gewissen Hang zum Dekorativen nicht absprechen. Eine Raumwirkung, im Sinne einer Verstärkung der volumetrischen Beziehung unter den Gebäuden, entsteht nicht. Hinzu kommt die Wirkung der dunklen Fensterbänke. Sie strukturiert die Bauten in horizontale Schichten. Diese Rhythmisierung der Vertikalen trägt mindestens ebenso viel zur Erscheinung der Siedlung bei, wie es die bunten Flächen tun. Die Farbe wird von den dunkel gehaltenen Fensterbändern im Zaum gehalten. Die Gestaltung ist zwar lebendig, aber nur am dafür vorgesehenen Platz. Einzig im Sockelbereich, wo die Wandanteile etwas grösser sind, treffen die Farben direkt aufeinander.
Wenn es also darum geht die Siedlung Zürich Altstetten mit Barragáns Schaffen zu vergleichen ist Vorsicht geboten. Die Farbe kommt im Schweizer Beispiel ganz anders zum Einsatz als in Mexiko. Die Analyse kann sich nur auf die Wirkung der Farbe an sich beschränken. Der Zusammenhang zur spezifischen Volumetrie und Fassadenproportion ist nicht gegeben. (Weiter bei…)
(1) Angaben aus: Rehsteiner Jürg, Architekten, Künstler und Behörden im Dialog: Ein Beispiel aus der Praxis, in: Box ZRH, Jürgen Rehsteiner, Sibillano Lino, Wettstein Stefanie (Hg.), Haus der Farbe, CRB, Kontrast, Seite 101