Barragán, Farbigkeit und Ort
Die Farb-Architektur Barragáns ist mit der lokalen Kultur und dem regionalen Klima eng verbunden. Was also kann ein Mitteleuropäer vom Mexikaner lernen? Welche Ideen lassen sich in ein Land übertragen, in dem die Kultur kaum bunte Farben verwendet? Welche Techniken sind tauglich in einem Gebiet, wo nicht die Sonne, sondern der Hochnebel am Himmel steht?
(…vorher) Vielleicht ist es die schwache Sonne und der lange Winter, welche die Vorlieben des Schweizers für gedeckte Farbtöne weckt. Vielleicht ist es die Zurückhaltung, das Bescheidene, was er in den Grautönen auszudrücken versucht. Eines steht fest, starke Farben erfreuen sich in der Architektur des europäischen Binnenlandes keiner grossen Beliebtheit.
Die kulturelle Tradition ist mehrheitlich bäuerlich geprägt. Vor der Industrialisierung war es ein ärmliches Stück Erde, von Hügeln und Bergen begrenzt. Man hat sich auf das Notwendige beschränkt. Starke Farben gehörten nicht dazu. Heute in einer von Telekommunikation durchdrungenen Gesellschaft, sind die Grenzen der Kulturen nicht mehr so trennscharf. Wieso also nicht die mexikanische Lebensfreude in das eher steife Land hinein tragen? Auch hier könnte die Farbe einen Beitrag zur Wirkung des Raumes leisten. Auch hier lässt sich mit farbigem Licht eine sakrale, poetische Stimmung erzeugen.
Allerdings wird man in Mitteleuropa nicht dieselbe Wirkung erreichen können, wie das Barragán in Mexiko getan hat: Die bunte Farbe zu begründen, gelingt im helvetischen Mittelland nicht mittels der kulturellen Tradition. Die Leuchtkraft der Sonne reicht nicht aus, um die intensiven Farbreflexionen zu übernehmen.
Von Barragáns Farbigkeit lassen sich für die Schweiz zwei unterschiedliche Strategien ableiten. Entweder wir entwickeln Farbkonzepte aus unseren eigenen Traditionen und Lichtverhältnissen heraus, oder wir finden für die kräftigen Farben des Mexikaners eine neue Rechtfertigung und optimieren ihre Wirksamkeit unter den hiesigen Lichtverhältnissen.
Beides sind gangbare Wege und beide halten Stolpersteine bereit. Inwiefern die bunte Farbe hier tatsächlich gut wirken kann, ist äusserst fraglich. Doch auch die Anwendung des traditionellen Farbkataloges muss nicht zwingend einfacher zu wirksamen Resultaten führen. Die gedeckten Töne hierzulande passen zwar in unsere Kultur, ihr Potenzial zur Prägung der Architektur ist aber nicht ganz so ausgeprägt, wie das bei intensiven Bunttönen der Fall ist. Eine ambitionierte Farbgestaltung ist letztlich gescheitert, wenn sie als solche gar nicht wahrgenommen werden kann.
Wir kommen nicht darum herum, mit beiden Strategien zu experimentieren und uns schliesslich für das beste Resultat zu entscheiden. Schliesslich hat auch Barragán selbst seine Farben in langwierigen Prozessen ausgetestet und auch schon mal eine Wandfläche überstreichen lassen. (Weiter bei…)