Burkhard Meyer, Deformation

Burkhard Meyer, Deformation

Glas begegnet uns als Lochfenster im Einfamilienhaus genauso wie am Bürogebäude als vollflächige Vorhangfassade. Ganz gleich wo, immer zeigt sich das Material als Ebene. Es scheint fast, als wäre dessen Flächigkeit eine seiner physikalischen Eigenschaften. Umso überraschender ist es, wenn Glas dem Ruf der Massenproduktion nicht Folge leistet.

(…vorher) Glas ist nur in ganz wenigen Ausnahmen gebogen. Wir kennen es als abgerundete Fenster bei Ladenfronten. Diese sind aber nur mit einem gut gefüllten Geldbeutel erschwinglich, gerade seit sich die Dämmvorschriften immer weiter verschärfen. Durch seinen seltenen Einsatz ist gebogenes Glas beinahe in Vergessenheit geraten – glücklicherweise nur beinahe.

Das Architekturbüro Burkhard Meyer hat in Aarau ein Bürohaus realisiert, dessen wesentlicher Ausdruck von gebogenem Glas abhängt. Der längliche Bau ist auf seiner gesamten Aussenabwicklung mit standardisierten Formgläsern versehen. Diese weisen eine Biegung auf, die es in sich hat. Denn trotz ihrer einfachen Geometrie entfaltet sie eine spannende Wirkung.

Grundsätzlich haben wir es mit einer gewöhnlichen, ebenen Scheibe zu tun, die an einer Seite nach hinten in die Raumtiefe hinein gebogen ist. Dabei ist sie an der oberen Ecke auf gut einem Sechstel stumpfwinklig abgebogen. Unten läuft die Biegung beinahe auf Null aus, wodurch in der Fassadenebene ein leicht schräger Falz entsteht. Damit schütteln diese Bauteile jegliche Banalität ab, die den Glasfassaden sonst innewohnt. Denn die Form bewirkt eine ungewohnte Plastizität, welche sowohl die Sichtweise auf die Fassade, als auch auf das Material verändert.

Hinsichtlich der Materialwirkung fühlt man sich instinktiv an transparenten Kunststoff erinnert – wohl weil wir durch Verpackungen täglich mit gebogenen Kunststoffteilen zu tun haben. Im gleichen Moment wird uns aber auch die Dauerhaftigkeit und Qualität des Glases bewusst. Die Kombination von Form- und Materialausdruck führt zu einer innovativen, ästhetischen Gestalt. Der Schlüssel dazu ist die Art der Biegung. Es ist die leicht schräge Faltung, die das Glas verzerrt und damit beinahe beweglich erscheinen lässt. Durch die Biegung tritt der Baustoff Glas stark in den Vordergrund. Im Unterschied zu  Wiel Arets synthetischem Stein entsteht hier kein neues Material. Durch die Biegung wird eine vergessene Eigenschaft aufgedeckt, die das stoffliche des Materials selbst betont. Es kann nicht mehr als unsichtbar, weil durchsichtig, verstanden werden. Es wird nun zu einem Gegenstand. Interessanterweise wird das Glas dabei nicht hart und solide, sondern nimmt den Ausdruck einer leichten, membranartigen Stofflichkeit an. Davon profitiert die gesamte Aussenerscheinung des Baus. Die Deformation des Glases hebt das Haus von der Masse der Glas-Bürofassaden ab und macht es damit zu einem aussergewöhnlichen Stück Architektur. (Weiter bei…)