Tatsachenbericht

Tatsachenbericht

Das Phänomen der gestalterischen Vervielfachung lässt sich am Beispiel der Stadt Zürich über mehrere Jahrzehnte nachzeichnen. Die Nachkriegszeit mit ihren durchgrünten Siedlungen zeigt sich dabei besonders konsistent. Mit ihrer zurückhaltenden Architektur bilden diese Bauten über die Grenzen der Siedlungen hinaus eine Einheit.

(…vorher) Zwischen 1931 und 1960 wurde ca. 40% des heutigen Baubestandes der Stadt Zürich erstellt (1). Die Bauten aus dieser Zeitspanne zeigen betreffend der Typologie und der ästhetischen Ausformulierung eine grosse Übereinstimmung. Gestalterisch besonders kompakt erscheinen die Bauten zwischen 1944 und 1954. Beleuchten wir im Folgenden die drei Stadtkreise mit den meisten Siedlungen aus dieser Periode (2): Altstetten, Affoltern und Schwamendingen. Ähnlichkeiten lassen sich in Altstetten und Schwamendingen jeweils bei neun, in Affoltern bei zehn Siedlungen feststellen. Davon wurden bis Dato sechs durch Neubauten ersetzt. Wir konzentrieren uns hier auf jene Siedlungen, die auch heute noch real begutachtet werden können.

Es bestehen auf allen Ebenen der Gestaltung grosse Gemeinsamkeiten unter den betreffenden Siedlungen: Auf der architektonischen Ebene kommen durchwegs flache Satteldächer und verputzte Aussenwände zum Einsatz (100%). Ausnahmslos haben wir es mit hochrechteckigen Lochfenstern zu tun (100%). Der Sonnenschutz wird mit Holzläden gewährleistet (100%). Mehrheitlich (68%) werden die Treppenhäuser in der Fassade mit der Höhe und der Ausbildung der Fenster angezeigt. Meistens (72%) finden wir der Hauptgebäudezugang durch ein kleines Vordach geschützt. Unterschiede gibt es in der Geschosszahl: Zweigeschossige Bauten (52%) halten sich mit Dreigeschossern (48%) ungefähr die Waage. Teilweise finden sich, neben den Mehrfamilienhäusern auch Reiheneinfamilienhäuser (36%). Dennoch unterscheiden sich die Bauten in ihrer gestalterischen Ausformulierung kaum von einander. Insgesamt wirken die Gebäude alle einfach und unauffällig. Die geraden Gebäuderiegel werden zur Auflockerung manchmal leicht versetzt aneinander gebaut (77%). Spezielle Kopfbauten finden sich nur selten. Mehr architektonische Besonderheiten gibt es nicht.

Auch der Aussenraum ist weitgehend gleichförmig. Ausnahmslos begegnen wir einer Aussenraumgestaltung mit geringer Eingriffstiefe (100%). Wiesen und sporadisch gepflanzte Bäume und Büsche prägen das Bild. Die Wege zu den Hauseingängen sind grossmehrheitlich nahe an der Hausrückseite angelegt (82%). Sie queren nur selten eine Grünfläche in der Mitte. Dies ist meist dann der Fall, wenn die Gebäude auf Grund der Grundstücksgeometrie unterschiedliche Ausrichtungen aufweisen und damit besondere Verbindungswege notwendig machen. Die grossen Wiesenflächen, die vor den Wohnseiten der Häuser entstehen, wirken zwar zu diesem Haus zugehörig, eine private Gartenfläche findet sich aber nur bei den Reiheneinfamilienhäusern. Der Übergang zur Strasse wird auf verschiedene Weise gestaltet: Wiesen (21%), Wiesen mit lockerer Busch-Bepflanzung (21%) und mit dichter Busch-Bepflanzung (5%), Knie- bis hüfthohe Hecken (53%) und ab und an sind diese Massnahmen mit einer Böschung kombiniert (23%).

Auf städtebaulicher Ebene sind zwei Gebäudestellungen vorherrschend: rechtwinklig (32%) und parallel (23%) zur Strasse. Bei grösseren Baufeldern kommen auch Mischformen (32%) oder Ausrichtungen schräg zur Strasse (13%) vor. Die Baukörper stehen grösstenteils parallel zueinander und bilden so regelmässige Strukturen. Die Beziehung der Häuser untereinander, also ihre Wirkung als Siedlungseinheit, begründet sich meist durch die gleiche ästhetische Erscheinung der Bauten und eine regelmässige Ausrichtung. Städtebaulich betrachtet ist die Zusammengehörigkeit jedoch eher schwach ausgebildet. Es besteht beispielsweise keine ausgeprägte Zwischenraumbildung durch die Gebäudeformen. Es besteht kein bewusster kompositorischer Anspruch. Die Bauten stehen pragmatisch in ihrer Umgebung.

Ganz allgemein haben wir es bei den genossenschaftlichen Siedlungen mit unauffälligen, einfachen Wohnbauprojekten zu tun. Doch es ist nicht die Zurückhaltung alleine, welche die Bauten als Einheit erscheinen lässt. Dazu ist die Architektur zu ähnlich. Es scheint fasst so, als kämen alle diese Häuser aus einer Hand, obschon nur höchstens zwei Siedlungen vom selben Architekten stammen. Es muss damals eine gestalterische Übereinkunft geherrscht haben. Vielleicht sogar so etwas wie eine Baukultur. Das Resultat ist eine Konsistenz, von der die Stadt noch heute profitiert. (Weiter bei…)

(1) Statistisches Amt der Stadt Zürich 2000, S.230f in: Stadtumbau Wohnen, Ursachen und methodische Grundlagen für die Stadtentwicklung mit Fallstudien zu Wohnungsgebieten in Zürich, Sabine Friedrich, Hochschulverlag AG Zürich, 2004, S.100
(2) Kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbau in Zürich, Ein Inventar der durch die Stadt geförderten Wohnbauten 1907-1989, Michel Koch, Mathias Somandin, Christian Süsstrunk, Finanzamt und Bauamt der Stadt Zürich, S.32-33