Ästhetische Gleichschaltung?!?

Ästhetische Gleichschaltung?!?

Woher kommt die Liebe zur gestalterischen Vervielfachung? Warum ist sie in der heutigen Zeit so breit akzeptiert und kaum hinterfragt? Wo liegt der Ursprung dieser ästhetischen Strategie? Ist es die Siedlung als Bauform, welche diese ästhetische Gleichschaltung mit sich bringt?

(…vorher) Siedlungsbebauungen folgen einem relativ neuartigen Konzept. Dieses hat sich erst Ende des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung herausgebildet. Als Gegenbewegung zu den überfüllten, schmutzigen Kernstädten drängt das Volk in ein gesünderes Wohnumfeld. „Raus ins Grüne, baden in Licht, Luft und Sonne“ (1) ist das Motto der Gartenstadtbewegung im Zuge einer gesamthaften Lebensreform. Mit dem Schritt aus den engen Gassen heraus ins gesunde Grün, vollzieht sich die Abkehr von der Blockrandbebauung als vorherrschende, städtebauliche Typologie. Die Häuser sind als Einzelbauten oder Reihenhäuser konzipiert. Ein abgeschlossenes Geviert bilden sie nicht mehr. Im Falle des Einzelhauses tritt das Gebäude als Baukörper klar in Erscheinung. Aber auch in der Reihung veränderte sich die klassische Lesart der Bauwerke. Sie treten nun nicht mehr nur mit ihren Fassaden in Erscheinung, sondern können als Körper wahrgenommen werden. Man kann um ein Reihenhaus herum gehen. Die Fassaden verlieren ihre klare Hierarchie von Strassen- und Hofausrichtung. Das Haus wird so zu einem freistehenden, dreidimensionalen Gegenstand.

Ebenso entscheidend ist die Veränderung in Bezug auf die Strasse. Im System der Blockränder bildeten die Gebäude und die Strasse eine untrennbare Einheit: Das Eine generiert das Andere. In der durchgrünten Siedlung löst sich das Haus von der Strasse ab und steht nun im Garten oder zumindest auf der grünen Wiese. Die Strasse verliert damit ihre klare Definition. Sie wandelt sich von der räumlich gefassten Gasse zum Gartenpfad. Das Haus büsst seine klare Position zu einem Bezugssystem ein. Die Folge davon ist eine gänzlich neuartige Form der Nachbarschaft. Das Gegenüber der Gebäude veränderte sich vom frontalen Vis-à-vis zu einem locker gestreuten Beisammensein der Baukörper. Die Beziehung der Häuser untereinander wird folgerichtig schwächer und löst sich bisweilen ganz auf. Dies ist ganz im Sinne der Gartenstadtbewegung, ist es doch ihr erklärtes Ziel, die Gebäude auf die Natur und nicht auf die Stadt auszurichten.

Es scheint kein Zufall zu sein, dass mit der Umsetzung dieser städtebaulichen Konzeption auch die ästhetische Kopie auf den Plan getreten ist. Der Verlust an struktureller Ordnung soll auf der ästhetischen Ebene wettgemacht werden. Zusammengehörigkeit wird mit der Wiederholung erzeugt. Das dieser Schritt ganz bewusst erfolgen kann, erschliesst sich uns beispielsweise aus den Aussagen des Gartenstadt-Architekten Allbau. Die Siedlungen sollten seiner Auffassung zufolge: „von selbstverständlicher Einfachheit und Gleichheit geprägt sein“ und es sei „am Äusseren der Gebäude die sogenannte Eigensucht zu vermeiden.“ (2).

Ob dieser Schritt überall so bewusst stattgefunden hat, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Feststellen lässt sich jedoch die Tatsache der sich wiederholenden Fassaden und deren Wirkung auf den Betrachter. (Weiter bei …)

 

(1) F. Bollerey, G. Fehl, K. Hartmann (Hrsg.), Im Grünen wohnen – im Blauen planen, Ein Lesebuch zur Gartenstadt mit Beiträgen und Zeitdokumenten, Christians Verlag, 1990, S. 25

(2) F. Bollerey, G. Fehl, K. Hartmann (Hrsg.), Im Grünen wohnen – im Blauen planen, Ein Lesebuch zur Gartenstadt mit Beiträgen und Zeitdokumenten, Christians Verlag, 1990, Gerhard Fehl, Gartenstadt-Bebauung oder schematische Reihenhaus-Bebauung, S. 210