Gestaltung statt Struktur

Gestaltung statt Struktur

(… vorher) Überbauungen sind logische Einheiten. Ihre Grösse entspricht in planerischer, finanzieller und räumlicher Sicht einer handlichen Grösse. Diese Einheit auch einheitlich zu gestalten, liegt nahe. Das damit aber auch ein städtebaulicher Paradigmenwechsel einhergeht, wird ausser Acht gelassen.

Die gleichzeitige Bebauung mehrerer Grundstücke macht Sinn. Je grösser der Bauplatz, desto mehr Synergieeffekte werden wirksam: Das Projekt profitiert von einem vergrösserten Spielraum in der Platzierung der Nutzungen. Beispielsweise kann die Tiefgaragen wirtschaftlich zusammengefasst und das Erschliessungssystem optimiert werden. Grosse Baubereiche haben aber auch bewilligungstechnische Vorteile. Eine Mehrausnützung über die Regelungen der Bau- und Zonenordnung hinaus lässt sich meist erst ab einer bestimmten Arealfläche konsumieren. Die Amtsstellen und letztendlich der Gesetzgeber fördert so die Überbauung als Projekteinheit.

Die finanziellen und rechtlichen Anreize kann die Ausbreitung von gestalterisch einheitlichen Überbauungen jedoch nur teilweise erklären, zumal die positiven Effekte, welche die Baufeldgrösse mit sich bringt, auch mit unterschiedlich gestalteten Gebäuden erreicht werden können. Es muss also auch andere Gründe für ein solches Vorgehen geben.

Wie im vorangegangen Text „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ schon angedeutet, kann der Planer mit einer Vervielfachung seiner Gestaltung seinem Projekt mehr Gewicht und Kraft verleihen. Die Wirkung einer gestalterisch homogenen Gebäudegruppe ist höher zu werten, als die eines einzelnen Bauwerkes, zumindest im regulären Wohnungsbau. Selbstverständlich lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die mehrfache Anwendung einer Gestaltungsidee auch für den Prozess der Planung und der Ausführung Erleichterungen mit sich bringt. Dem Architekten vor diesem Hintergrund Faulheit vorzuwerfen, würde jedoch zu kurz greifen. Die Überbauung durchgängig zu gestalten hat vor allem qualitative Vorteile. Mit gestalterischen Vervielfachungen ist auf einfache Weise ein architektonisch sauberes und kraftvolles Resultat zu erreichen. Die Beziehung zwischen den Bauten funktioniert auch ohne eine konkrete Setzung der Volumen. Die Fassadenästhetik wirkt so stark, dass im Prinzip weder Sichtbezüge noch Raumbildung zwingend notwendig sind, um eine funktionierende Zusammengehörigkeit zu schaffen. Hat man also die Möglichkeit eine einheitliche Gestaltung zu erwirken, käme es einer bewussten Schwächung der Gestaltung gleich, dieses Mittel nicht zu ergreifen – unabhängig davon, ob die Gebäudesetzung eine Zusammengehörigkeit schafft oder nicht.

In dem Masse, wie die Zusammengehörigkeit über die Gebäudegestaltung und nicht über deren Setzung erreicht wird, verschiebt sich nun aber das Gewicht von einer städtebaulichen zu einer architektonischen Sicht- und Arbeitsweise. Die Mittel, welche im Städtebau für eine Verbindung unter den Bauten sorgen, sind allesamt räumlich geometrische Ordnungssysteme. Sie bilden mit den einzelnen Gebäuden eine Struktur. Mit der ästhetischen Herangehensweise der Architekturproduktion werden allerdings vordringlich die inneren Bezüge der Überbauung gestärkt. Eine Einbindung in ein grosses Ganzes ist mit dem Mittel der gestalterischen Vervielfachung nicht zu erreichen.

Damit steht sich ein „klassischer“ Städtebau und ein architektonisch, ästhetisches Konzept der Stadt gegenüber. Welche der beiden Haltungen der Stadt mehr Vorteile bringt gilt es noch zu klären. Entscheidend für das Verständnis der aktuellen Stadtentwicklung ist jedoch, dass diese beiden Haltungen grundverschieden sind. (Weiter bei…)