Der Grossbau und die geschlossene Stadt

Der Grossbau und die geschlossene Stadt

Grossbauten streben häufig nach einer durchgrünten Bebauungstypologie. Dass es auch anders geht, zeigt das Richtiareal in Wallisellen. Der neue „Stadtteil“ steht für eine geschlossene Stadt, die sich ihrer Dichte nicht schämt. Wir haben es hier mit einer Neuauflage des gründerzeitlichen Blockrandes zu tun. Mit einer Ausnahme: Der Rolle des Hauses.

(…vorher) Das Richtiareal ist eine Komposition aus mehreren Blockrändern. Enge Strassen und hohe Bauten sorgen für eine angenehme Dichte. Gerade Fluchten, ein zentraler Platz und eine geometrisch klare Setzung bringen einen Hauch Grossstadtgefühl mit ein. Es scheint, als hätte die zentrumsfernen Stadtteile mit diesem Projekt die lang ersehnte Antwort auf ihren Hilferuf erhalten. Hier wurde dem formlosen „agglomerieren“ ein Riegel geschoben und etwas geschaffen, was man begreifen kann. Gerade dort, wo das Gemeindegebiet bis anhin als Niemandsland dahin vegetierte, scheint die Chance auf ein lebendiges Quartier zu bestehen. Was früher eine Brache zwischen Verkehrslinien, Industrievierteln und Einkaufszentrum war, kann zu einem Zentrum werden – zu einem Zentrum, das der alte Dorfkern nicht sein kann.

Aus städtebaulicher Sicht scheint also vieles richtig zu funktionieren. Mindestens wurde alles getan, damit es dereinst funktionieren kann. Auch das Gebaute bewährt sich nur in der Realität. Betrachtet man den Situationsplan oder geht durch das Baugelände, leuchtet einem die Gestaltung ein. Gerade die Anlehnung an das eigentliche Zentrum von Wallisellen, dem Einkaufszentrum, ist ein längst überfälliger Coup. Hier steht man nicht mehr in Konkurrenz zu einem geschlossenen Konsumtempel, sondern kann von dessen Attraktion profitieren. Man befindet sich sozusagen im Gravitationsfeld der Mall. Gleichzeitig ermöglicht die Stadtentwicklung, aber auch dem Einkaufszentrum, eine bessere Anbindung an sein Umland und sichert ihm ein gutes Stück zusätzlicher Laufkundschaft. So wird sich der neue Stadtteil auch auf funktionaler Ebene symbiotisch in seine Umgebung eingliedern.

Die geschlossene Stadt nach klassizistischem Vorbild scheint eine adäquate Antwort auf die Probleme der heutigen Stadtentwicklung zu sein. Allerdings folgt nicht alles diesem klassizistischen Zuschnitt. Im Richtiareal entsprechen die Blockränder den Baufeldern. Dieser Umstand wirkt sich zunächst positiv aus: Es entstehen mundgerechte Happen zur Finanzierung, Projektierung, Etappierung und für den Betrieb. Hinsichtlich der städtebaulichen Wirkung sind diese grossen Einheiten aber problematisch.

Den Funktionseinheiten folgt augenscheinlich eine einheitliche Gestaltung. Die Blockränder werden durch jeweils einen Planer entwickelt. Was aus Effizienzgründen durch den Investor vorgegeben wurde, scheint auch bei den Architekten Anklang zu finden. Die Grösse eines einheitlich gestalteten Volumens verleiht seiner architektonischen Wirkung mehr Gewicht. So verändert sich die Stadt unter der Logik der effizienten Projektentwicklung merklich. Sie besteht nun nicht mehr aus Häusern. Sie ist nichts Zusammengesetztes mehr, zumindest nicht aus kleinen Teilen. Die Rolle des Hauses verliert sich in der Länge des gleich gestalteten Blockrandes. Die städtebauliche Struktur ist die letzte Instanz vor dem Eintritt in die Wohnung.

Ähnlich wie bei der durchgrünten Siedlung lässt sich eine Anonymisierung beobachten. Einzig der Umstand, dass die Fassaden von den relativ engen Strassenzügen her betrachtet werden, mildert diesen Effekt etwas ab. Der frontale Blick auf die Fassade ist nur aus der Nähe zu haben. So fallen die fehlenden Gebäudeunterteilungen nicht so sehr ins Gewicht.

Dennoch, in der konkreten Begehung eines Strassenzuges fehlt etwas. Die Rhythmisierung der Fassade geschieht nur noch über die Fenstersetzung. Das Fehlen der Häuser macht die Stadt in ihrer Wirkung ärmer. Das ist zum einen ein ästhetischer Verlust, aber auch einer der sich auf die Lesbarkeit der Stadt an sich auswirkt. Die Stadt mag zwar was ihre Räumlichkeit angeht, die gleiche Kraft aufweisen, der Reichtum der Eindrücke nimmt aber merklich ab. (Weiter bei …)