Der einsame Wolf
Der Blockrand ist eine Einheit, die traditionell in einem grösseren System eingebunden ist. Seine Aussenseite bildet zusammen mit anderen Blockrändern den Strassenraum und damit die erfahrbare Stadt. Was aber wird aus einem Rudeltier, das nicht in eine solche verbindende Ordnung eingebunden ist?
(…vorher) Der Blockrand ist eine der wichtigsten Bautypologien der Stadt. In Zürich lässt sich diese Form an der Josefstrasse studieren. Nach innen bilden die zusammengebauten Häuser einen geschlossenen Hof. Auf der Aussenseite schliesst das Gebilde nahtlos an den Bürgersteig und die Strasse an. Der einzige Abstand den die Erdgeschossnutzungen von den Einblicken der Passanten schützt, ist das Hochparterre. Zwischen Gebäude und Aussenraum besteht ansonsten aber eine klare, scharfe Grenze.
Ein solches Geviert macht aber noch keine Stadt. Es ist darauf ausgelegt zusammen mit anderen, gleichartigen Teilen ein Ganzes zu bilden. Die Art, wie es sich zu seiner Umgebung verhält ist genauso wichtig, wie seine eigene Form. Zusammen bilden die Bauten einen dichten, urbanen Zwischenraum. Hierin liegt das grosse Potential der Typologie aber auch seine grösste Schwäche. Auf der einen Seite lässt sich, wie sonst nirgends, eine äusserst lebendige Stadt beobachten. Auf der anderen Seite hatte die Bauweise, gerade wegen ihrer hohen Dichte, berühmte Kritiker. Die Moderne der vorletzten Jahrhundertwende hatte sich zum Ziel gesetzt, Luft und Licht in die Stadt zu bringen. Die Gartenstadt und mit ihr der durchgrünte Zeilenbau sind ein Resultat dieses Bestrebens.
Heute, wo die Wohnfläche pro Person stark angestiegen ist, hat sich das Problem mit den viel zu eng gebauten Blockrändern entschärft. Auf sechzig Quadratmetern wohnt nicht mehr eine Grossfamilie sondern höchstens noch ein Singlepaar. Damit ist auch der Druck auf die Aussenraumnutzung gesunken. Es lässt sich mittlerweile ganz gut in diesen dichten Strukturen leben. Dennoch werden heute keine solchen engen Blockränder mehr gebaut. Der Weitblick und der Schutz vor Einsicht ist zu einem Grundwert des Wohnens geworden. Geschlossene Gevierte sind nun ungleich grösser geschnitten. Im Inneren befindet sich heutzutage ein veritabler Park.
Ein Beispiel hierfür ist die Siedlung „Klee“ an der Heinrich-Wolff-Strasse. Das Projekt von Knapkiewicz + Fickert Architekten unterscheidet sich aber nicht nur auf Grund seiner Hofqualitäten von der ursprünglichen Blockrandtypologie. Viel stärker zu gewichten ist seine prägnante Aussenform. Drei kleinere Rechtecke sind zu einer Grossform zusammengefügt, die Ähnlichkeit mit einem dreiblättrigen Kleeblatt hat. Damit folgt der Blockrand nicht dem rechteckigen Grundstück, sondern bildet auch zur Strasse hin grosse Grünflächen. So geht die Möglichkeit verloren den Strassenraum klar zu definieren. Die Siedlung „Klee“ verabschiedet sich von der Anbindungsmöglichkeit an eine Struktur aus weiteren Blockrändern. Sie ist ein Rudeltier das nicht mehr weiss, wie man sich in einem Rudel verhält.
Das ist, wenn man den Kontext betrachtet in dem der Bau steht, nicht verwunderlich. Weit und breit ist kein anderer Blockrand in Sicht. Vielmehr grassiert ein typologisches Wirrwarr. Die Stadt wird sich in diesem Quartier nicht über die Art der Gebäude und nicht über die Art des Aussenraumes definieren. Der Strassenraum, der für die Blockrandbebauung so typisch ist, wird die Siedlung nicht zusammenbinden. Jedes Grundstück steht für sich alleine. Auch andere Bautypen finden in ihrer nächsten Nähe keine Entsprechung. Für den Blockrand ist diese Tatsache aber besonders gravierend – wäre er doch für die Entfaltung seines Charmes darauf angewiesen. Das Kleeblatt von Knapkiewicz + Fickert steht besonders alleine da – als Wolf ohne Rudel. (Weiter bei…)