Zukünftiger Kontext

Zukünftiger Kontext

Wo der Zusammenhang des Neuen mit der Umgebung nicht hergestellt werden kann, muss wohl die Umgebung dem Neuen folgen.

(…vorher) Die Stadt verändert sich fortlaufend. Über längere Zeit betrachtet ist sie einem lebenden Organismus nicht unähnlich. Einzelne Zellen sterben ab und werden durch neue ersetzt. Mit dem Unterschied, dass die Stadt aus Häusern und nicht aus biologischen Zellen besteht. Diese Ähnlichkeit besteht nicht erst seit die innere Verdichtung zum Thema geworden ist. Aber seither zeigen sich die Unterschiede zwischen der Stadt und ihrer Analogie in aller Deutlichkeit. Während beispielsweise die Haut ihre abgestorbenen Zellen immer wieder mit den gleichen Hautzellen ersetzt, verändern sich die Häuser. Sie passen sich den Gegebenheiten des Marktes, den Grenzen der Baugesetze, der Normen, den Möglichkeiten der Bauwirtschaft und den ästhetischen Vorstellungen an. Wenn sich nun aber die einzelnen Zellen verändern, dann wird das Ganze irgendwann anders aussehen.

Selbstverständlich, ein neues Haus macht noch keine neue Stadt. Aber mit der Zeit wird sie sich verändern. Die Frage ist nur, wie sie sich verändern wird. Sie kann es auf kontrollierte oder chaotische Weise tun. Das Ergebnis der beiden Wege könnte nicht unterschiedlicher sein. Entweder besteht die Stadt der Zukunft aus interessanten Einzelbauten ohne Zusammenhang, oder sie wirkt als eine Einheit. Beides sind interessante Möglichkeiten, aber nur Letzteres scheint wirklich Sinn zu ergeben, mindestens in der Hinsicht, dass wir die Stadt tatsächlich als eine Einheit verstehen wollen.

Dieser Meinung scheint auch die Stadt Zürich zu sein. Zumindest schreibt sie in Ihrer Bau- und Zonenordnung (BZO) von der „Wahrung des typischen Gebietscharakters“ und dem „Erzielen einer guten Gesamtwirkung“ (1). Doch zwischen Wunsch und Realität scheint sich eine Kluft aufzutun. Wie wir im Beitrag „Achtung, fertig, Chaos“ gesehen haben, ist die Charakteristik der einzelnen Gebiete nicht mehr so konsistent wie sie es einmal war. Neue Projekte werfen die Frage nach der richtigen Bebauungstypologie der zukünftigen Stadt auf – und sie beantworten die Frage gleich selbst. Allerdings tun sie dies nur gerade für die Paar Häuser, die auf dem fraglichen Grundstück Platz finden. Darüber hinaus findet die Idee meist keine Anhänger mehr, denn nebenan entsteht ja schon eine neue Antwort: Gleichermassen richtig in ihrer Redlichkeit eine Antwort zu finden – Gleichermassen falsch in ihrem Unvermögen eine Einheit der Stadt zu fördern. Bei all den Neuerungen scheint es keine Idee davon zu geben, wohin die Stadt sich wirklich entwickeln soll. Der heutige Kontext ist für die Neuankömmlinge kaum noch von Bedeutung, da sie ganz anderen Gesetzmässigkeiten unterworfen sind. Man denke hier nur an die Siedlung Triemli, wo rein gar nichts mehr an die alte Bebauung erinnert. Es ist daher vergeblich sich an den alten Kontext zu klammern. Mögen auch gewisse Eigenschaften des Alten ins Neue hinübergerettet werden, so ist es doch das Neue das überwiegt. Die  Überbauungen, die zurzeit entstehen, orientieren sich demnach an einem Kontext, den es noch gar nicht gibt. Sie erschaffen sich ihn gewissermassen selbst. Zugegebenermassen ist das eine paradoxe Situation. Denn man kann sich nicht auf etwas abstützen, wenn es diesen festen Untergrund nicht gibt. Trotz alledem ist die Situation nicht ausweglos. Die Antwort heisst Voraussicht, sie heisst Planung und sie heisst Präzision. Man muss sich das Ergebnis vorstellen, bevor es Wirklichkeit wird. Man muss es durchplanen, damit es in dieser Weise wirklich wird und man muss es so präzise tun, dass die Abweichungen nicht überhand nehmen und den Kern der Idee beschädigen.

Zur Umsetzung dieser Punkte reichen die Werkzeuge der Richtplanung und der BZO nicht aus, denn der Charakter eines Stadtgebietes setzt sich aus mehr zusammen als dem Abstandbild und der Geschosszahl einer Bauzone. Es braucht dazu einen Beschrieb einer präzisen Typologie an einem bestimmten Ort. Es braucht klare Handlungsanweisungen und es braucht Mittel zur Umsetzung. Denn eines ist klar; einem zukünftigen Kontext zur Umsetzung zu verhelfen bedeutet ein grosser Eingriff in die Rechte der Akteure. Weder Architekten, noch die Eigentümer könnten gleich verfahren wie heute. Allerdings hat die Stadt einen unschlagbaren Trumpf im Ärmel. Sie kann den Bauwilligen ein Gegengeschäft für ihren Wunsch nach Einheit anbieten. Mit dem Bonus der Mehrnutzung durch die Arealüberbauung lassen sich nicht nur Qualitäten in der Energieeffizienz und der Architektur einfordern. Der Gestaltungsplan kann auch als Motor für einen klaren Städtebau dienen – unter der Voraussetzung, die Stadt ist an einem solchen Städtebau interessiert und hat eine Vorstellung davon, wohin er sie führen soll. (Weiter bei …)

(1) Bau- und Zonenordnung Stadt Zürich, 1991, S.26, Artikel 43 Allgemeine Gestaltungvorschriften